Essen. Dank der Netflix-Serie „Stranger Things“ erlebt Kate Bush mit „Running Up That Hill“ nach 37 Jahren das lukrativste Jahr ihrer seltsamen Karriere

Im Garten ihres sehr nah an einer Klippe gebauten Anwesens bei East Portlemouth in der südenglischen Grafschaft Devon wird sich Kate Bush dieser Tage möglicherweise die Gischt ins Gesicht pusten lassen und dabei sehr innig und lange in sich hineinlächeln. Denn Bush, die notorisch öffentlichkeitsmeidende und scheue Künstlerin, feiert dieser Tage einen extrem unerwarteten Triumph: „Running Up That Hill“, 1985 von Kate Bush als erste Single ihres wohl besten Albums „Hounds Of Love“ veröffentlicht und seinerzeit bereits ein großer Erfolg, schickt sich an, 2022 zum Sommerhit des Jahres zu werden. Im Vereinigten Königreich steht das Stück bereits auf Platz Eins der Singlecharts, in vielen weiteren Ländern wie der Schweiz, Australien und Schweden ebenfalls. In Deutschland und den USA platziert sich „Running Up That Hill“ aktuell auf Rang vier – strebt aber gerade massiv weiter vor.

„Ich bin entzückt und überwältigt“, schreibt die 63-Jährige auf ihrer Webseite, „wie viel Unterstützung und Zuneigung mein Song empfängt. Alles passiert so schnell und wirkt auf mich wie eine Naturgewalt.“

Kate Bush lebt zurückgezogen mit ihrem Mann und Gitarristen Danny McIntosh

Nun, ganz so ist es nicht. Den Naturgewalten mag Bushs Haus – in dem sie mit Ehemann und Gitarrist Danny McIntosh sowie dem gemeinsamen Sohn Albert („Bertie“) lebt – im stürmischen Herbst trotzen müssen. Ihr später Hit jedoch ist vor allem das Ergebnis einer exzellent funktionierenden Marketingstrategie. In den Ende Mai veröffentlichten Folgen der vierten Staffel der insbesondere bei jungen Menschen zwischen zehn und Ende 20 extrem populären Netflix-Mystery/Horror/Erwachsenwerden-Serie „Stranger Things“ spielt „Running Up That Hill“ nämlich eine echte Paraderolle. Der Song, ohnehin wuchtig, gefühlvoll und mitreißend kämpferisch gesungen, ist das Lieblingslied der trauernden Figur Max, die Kraft und Trost findet, wenn sie „Running Up That Hill“ auf ihrem Walkman hört.

Ganz offensichtlich identifiziert sich die Jugend der Welt mit diesem dramatischen, ein wenig alptraumhaften Epos und klickt es in riesiger Zahl auf ihren digitalen Endgeräten an. Allein Marktführer Spotify meldete vergangene Woche 57 Millionen Streams, die Zahlen steigen weiter rasant.

Wegbereiterin von Björk, Alanis Morissette, Tori Amos und vielen anderen

Kate Bush 2014.
Kate Bush 2014. © AFP | Trevor Leighton

Dass die meisten Kids vorher noch nie von Kate Bush gehört haben dürften, der Wegbereiterin von Björk, Alanis Morissette, Tori Amos und vielen anderen, spielt dabei keine Rolle. Ob Kate Bushs „heilige Kunst“ durch die Teenie-Serie trivialisiert wird, wie Kulturpessimisten behaupten, steht dahin. Die Musik der achtziger Jahre und die Musik, die so klingt , feiert ja schon länger eine Renaissance. Die Songs von Stars wie The Weeknd („Blinding Lights“) oder Post Malone lassen die Dekade ebenso aufleben wie die supererfolgreiche, seit 2016 laufende Serie „Stranger Things“, die Anfang, Mitte der Achtziger spielt und an „E.T.“, „Stand By Me“ oder „Zurück in die Zukunft“ erinnert. Auch die als unkonventionell und eigensinnig geltende Kate Bush ist übrigens „Stranger Things“-Fan. Sonst hätte sie ihren Song wohl auch kaum für die Nutzung in der Serie freigegeben.

Selbstredend verdient sich die Engländerin gerade eine ganze Kiste voller goldener Nasen. Sie hat „Running Up That Hill“ allein geschrieben und getextet, die Songrechte liegen, so hat der Branchendienst „Music Business Worldwide“ recherchiert, bei ihr. Die Experten haben auch ausgerechnet, was Kate Bush, die 2011 zuletzt ein Album veröffentlichte und 2014 nach jahrzehntelanger Live-Abstinenz 22 Konzerte im Londoner „Hammer­smith Odeon“ spielte (um anschließend wieder abzutauchen), gerade so einnimmt: Etwa 300.000 Euro pro Woche. Merke: Durch Streaming kann man sehr wohl reich oder noch reicher werden, man muss halt nur sehr, sehr häufig gestreamt werden.

Die bisherige Altersrekordhalterin Cher hat schon gratuliert

Die Rekorde, die Kate Bush in den vergangenen Tagen gebrochen hat, sind spektakulär. Kein Künstler hatte in den UK-Charts jemals eine so lange Zeitspanne zwischen zwei Nummer-Eins-Hits wie Bush zwischen „Wu­thering Heights“ (ihrem ersten, herrlich schrägen, Welterfolg mit 19) und „Running Up That Hill“. Kein Song hat von der Veröffentlichung bis zum Erreichen des Chartgipfels jemals länger gebraucht – 37 Jahre –, um auf Platz 1 zu schießen, und keine Frau war in der Geschichte der britischen Singlecharts älter als die 63-jährige Kate Bush. Die bisherige Altersrekordhalterin Cher (zarte 52, als sie 1998 mit „Believe“ an der Spitze stand) gratulierte auch umgehend.

Nirvana und Fleetwood Mac haben auch schon digitale Comebacks gefeiert

Auch ist „Running Up That Hill“ keineswegs der erste ältere Song, der durch das Internet oder ein filmisches Werk abrupt durch die Decke geht. Vor kurzem erst explodierten die Streaming-Zahlen für Nirvanas „Something In The Way“, nachdem der finale Song vom „Nevermind“-Album im Kinofilm „The Batman“ zum Einsatz kam. Und 2020 katapultierte ein TikTok-Video des Skateboard fahrenden und Cranberry-Saft trinkenden Nathan Apocada nicht nur den 43 Jahre alten Fleetwood-Mac-Klassiker „Dreams“ wieder ganz nach vorne – sondern animierte Mick Fleetwood gar zu einem eigenen TikTok-Clip.

Und auch was die vierte „Stranger Things“-Staffel angeht, so ist die Weide der potentiellen Revival-Hits noch längst nicht abgegrast. „Pass The Dutchie“ von Musical Youth, „You Spin Me Round (Like A Record)“ von Dead Or Alive oder nicht zuletzt The Cramps mit ihrem Kultklassiker „I Was A Teenage Werewolf“ sollte man gerade unbedingt im Auge behalten.