Gelsenkirchen. Das Opernstudio NRW zeigt seine Abschlussarbeit im Gelsenkirchener Musiktheater im Revier: „Das Wundertheater“ und ein „Wachsfigurenkabinett“.
Illusion, Lebenslüge, Bigotterie, Aufruhr, mediale Hysterie: Ein ganzes Kaleidoskop menschlicher und gesellschaftlicher Fehlentwicklungen nimmt ein Doppelabend des Musiktheaters im Revier mit zwei Kammeropern von Hans Werner Henze und Karl Amadeus Hartmann aufs Korn. Hans Werner Henzes Kurzoper „Das Wundertheater“ und Hartmanns fünfteiliges Panoptikum „Wachsfigurenkabinett“ werden derzeit als Abschlussarbeit des „Opernstudios NRW“ im Kleinen Haus gezeigt, einer Kooperation der Opernstudios von Essen, Dortmund, Wuppertal und Gelsenkirchen. Anspruchsvolle, gleichwohl spielfreudige Stücke, das richtige Futter für junge Gesangstalente am Anfang ihrer Karriere.
Für das neu gegründete Opernstudio der Bayerischen Staatsoper komponierte Hartmann um 1930 sein „Wachsfigurenkabinett“, hinterließ das Werk aber unvollendet und so wurde es erst 1988 in einer vervollständigten Version uraufgeführt. An der Rekonstruktion war auch Hans Werner Henze beteiligt, dessen „Wundertheater“ 1948 inhaltlich und stilistisch vorzüglich zu Hartmanns Opern-Quintett passt.
Cervantes’ Don Quichotte lieferte die Vorlage für Hans Werner Henzes „Wundertheater“
„Das Wundertheater“ geht auf eine Episode aus Cervantes „Don Quichotte“ zurück, in der eine Gauklertruppe dem versnobten Publikum suggeriert, nur aufrichtige und ehelich gezeugte Christen könnten das Spektakel wahrnehmen. In Wirklichkeit wird nichts gezeigt. Die Zuschauer überschlagen sich vor lauter Entzücken über die angeblichen Abenteuer, geraten bei der Ankündigung eines wilden Stieres in Panik und als ein ahnungslos hinzustoßender Soldat erkennen lässt, dass er nichts erkennen kann, wird er von der empörten Meute zusammengeschlagen.
Zum 19-köpfigen Instrumentalensemble gehören auch Harfe und Cembalo, die der moderat frei tonal gefassten, rasant ablaufenden Klangkulisse einen barocken Akzent verleihen. Man hört Henzes Musik die Erleichterung an, sich 1948 endlich wieder inhaltlich und musikalisch frei und ungefährdet austoben zu können.
Regisseurin Zsófia Geréb, Ausstatter Ivan Ivanov
Die Bühne des Kleines Hauses wird dafür von der Regisseurin Zsófia Geréb und Ausstatter Ivan Ivanov so effektiv wie möglich genutzt, indem das Orchester im Parkett angesiedelt wird. Das Publikum hat von der Empore besten Ausblick auf das Geschehen. Ein flexibel verschiebbares Treppenkonstrukt bildet den Kern der praktikablen Ausstattung. Völlig ausreichend, wenn die jungen Solisten von der Regisseurin so lebendig und kreativ geführt werden wie in Gelsenkirchen.
Noch mehr Abwechslung verbreitet Hartmann mit den fünf Mini-Opern des „Wachsfigurenkabinetts“, in denen der widersprüchliche Hype um Rasputin am zaristischen Hof, die traumatische Angst eines Kapitalisten vor einer sozialen Revolte, Identitätskrisen im skurrilen Format einer Karl-Valentin-Posse oder der brüchige und verlogene Star-Rummel im finalen „Chaplin-Ford-Trott“ Auswüchse menschlicher Irrwege kombiniert, die Hartmann 1930 noch mit spitzer, aber entspannter Ironie kommentiert.
Neue Philharmonie Westfalen unter Gregor Rot
Die Katastrophe, in die mancher dieser Irrwege wenige Jahre später führen sollte, konnte Hartmann noch nicht ahnen und die Regisseurin unterlässt es auch, Bezüge zur braunen Diktatur herzustellen. Durchaus zu Recht. Umso intensiver konnten sich die stimmlich vorzüglich vorbereiteten Sängerinnen und Sänger auf die vokalen und szenischen Herausforderungen der kleinen, aber nicht einfachen Stücke konzentrieren.
Zum reibungslosen und vergnüglichen Ablauf des Abends trug nicht zuletzt die Neue Philharmonie Westfalen unter Leitung von Gregor Rot bei. Kurzer, aber heftiger Beifall für einen ebenso kurzweiligen Abend.
Spieldauer: 2 Stunden, 20 Minuten; eine Pause. Die nächsten Aufführungen im Musiktheater im Revier: am 29. Mai sowie am 23. und 24. Juni (Infos: www.musiktheater-im-revier.de, Karten-Telefon: 0209/4097200).