Dortmund. John Scofield machte das „Domicil“ glücklich, während um die Ecke Pat Metheny das Konzerthaus füllte. Scofield trat mit seinem neuen Trio an.

Glückliches Dortmund, wo man sich am Vorabend von Miles Davis’ 96. Geburtstag doch glatt zwischen zwei Weltklasse-Gitarren-Trios entscheiden musste. Im Konzerthaus gab’s Pat Metheny zu hören, im wenige hundert Meter entfernten Domicil das neue Trio von John Scofield – beide natürlich ausverkauft. Was im berühmten Jazzclub, den das amerikanische Fachmagazin Downbeat seit Ewigkeiten zu den Top-100 weltweit zählt, mit der intimen Atmosphäre zum intensiven Vergnügen der Extraklasse geriet.

Der 71-jährige Gitarrist, dessen internationale Karriere 1974 in der New Yorker Carnegie Hall an der Seite von Gerry Mulligan und Chet Baker begann, war an diesem Abend glänzend aufgelegt. Voll normal, denn anders kennt man ihn nicht. Und dass sein Drummer Bill Stewart, mit dem Sco auch schon seit über 30 Jahren spielt, mit treibenden Cymbal-Rides zu markanten Pressschlägen auf tiefen Toms und Snare mächtig Dampf hinter den meist hart angeschlagenen, kurz im Raum stehenden, angezerrten Gitarrenlinien machte, kam auch nicht unerwartet.

John Scofield sparte diesmal mit Grimassen

Sehr wohl aber ihr neuer Bassist Vicente Archer, der die langjährige Rolle des legendären Steve Swallow am singenden Tieftöner völlig anders ausfüllte. Nämlich mit sonor pulsenden Single-Notes, die er fast ausschließlich mit nur einem Finger auf seinem Kontrabass zupfte. Was aussah als tanze ein wildgewordenes Wiener Würstchen über die Saiten, aber gar prächtig mit dem diesmal erstaunlich wenig grimassierenden Gitarren-Star korrespondierte.

Wie stets, hatte der sich erst kurz vor seinem Auftritt für eine Handvoll Stücke querbeet durch die Zeit entschieden. Eine echte Herausforderung für die beiden Rhythmiker, dem quirligen Spielfluss zu folgen und ihn reaktionssicher zu strukturieren. Was Vicente Archer zumal souverän meisterte, dem Sco nur gelegentlich kleine Motive zuspielte, die der Bassist dann mit großem Ton in packende Walking-Lines und feine Soli ausformte. Bill Stewart reichte dagegen der stete Blickkontakt mit seinem Leader, um punktgenaue Breaks und Akzente in die flirrenden Gitarren-Sounds zu setzen.

Neil Youngs „Old Man“ und Carla Bleys „Lawns“

Gelegentlich locker vom Hocker, meist aber tänzelnd zerlegte der Amerikaner mit dem markanten Kinnbart mehr oder minder bekannte Songs mit unverwechselbarem Aplomb in gewitzter Rasanz und verwandelte sie in prachtvoll schillernde Kleinode. Diente der alte Standard „How Deep is the Ocean“ noch der gegenseitige Einstimmung, so war bei Carla Bleys selten zu hörendem „Lawns“ die Betriebstemperatur erreicht. Erste Überraschung das Americana-selige „Old Man“ von Neil Young, erfrischend unnostalgisch als Echo aus Scofields Jugendjahren. So wie auch „Mr. Tambourine Man“, wo er dicht an der famosen Melodie von Bob Dylan blieb. Für die Jazzkenner im Saal gab’s Miles von 1957 („Budo“) als druckvolle BeBop-Nummer sowie John Coltranes kunstvoll seziertes „Afro Blue“.

Dass sein Trio nicht ganz ohne Steve Swallow auskommt, zeigte sich an dessen Bill Stewart gewidmeten „Bag“, der prompt ein knackiges Solo in den groovenden Wohlklang einstreute. Nach zwei grandiosen Stunden tosender Jubel und lauter glückliche Gesichter auf und vor der Bühne. Wer’s verpasst hat, kannsich mit dem aktuellen Solo-Album „John Scofield“ (ECM) trösten – die herzhaft delikate Essenz einer langen Karriere.