Mülheim. Mülheims Stücke gehen weiter. Ein Blick auf „Monte Rosa“ und „Wounds are forever“, beide Gast beim Dramatiker-Wettbewerb an der Ruhr.
Viel ist geschrieben worden im Vorfeld über eine neue Generation deutschsprachiger Dramatikerinnen, die beim „Stücke“-Wettbewerb um den Dramatikpreis wetteifern. Sechs der sieben Texte stammen von Frauen, für vier junge Autorinnen bedeutet die Nominierung das Mülheim-Debüt. Zu ihnen gehört auch die Österreicherin Teresa Dopler, deren bittere Beinahe-Komödie „Monte Rosa“ in der Inszenierung des Schauspiels Hannover (Regie: Matthias Rippert) in der Stadthalle vorgestellt wurde. Im Theater an der Ruhr präsentierte das Nationaltheater Mannheim „Wounds Are Forever“ von Sivan Ben Yishai.Der hochformatige Spiel-Kasten zeigt, wie im Fokus einer starr ausgerichteten Wildkamera mit Bewegungsauslöser, einen stilisierten Felsen. Hier stoßen drei Männer, nur A, B und C genannt, aufeinander. Sie beharren darauf, mit Leib und Seele Bergsteiger zu sein, immer unterwegs zum nächsten Gipfel.
Doch „Monte Rosa“ ist kein Alpinisten-Drama. Dopler nutzt in ihrem dialogisch aufgebauten, sprachlich bewusst auf immer wiederkehrende Phrasen und quälende Banalitäten reduzierten Stück die vieldeutige Berg-Metapher für einen entsetzlich komischen Blick in und auf die Männerwelt. Es geht um prätendierte Kraft und Jugend, um Egoismen und Rollenspiele, um das gegenseitige Übertrumpfen und den damit einhergehenden Mangel an Empathie. Auch Ignoranz gehört dazu. Dass Gletscher schrumpfen, der auftauende Permafrost zu bedrohlichen Geröllabgängen führt und C irgendwann sogar Opfer eines solchen Steinschlages wird, das interessiert nicht. Der Blick bleibt nach oben gerichtet, wo die Luft vermeintlich besser ist als im umweltbeschädigten Tal, aber auch viel dünner.
Bei Mülheims „Stücke“-Wettberb buhlen Autorinnen und Autoren um die Ehre des besten Werks
Eigentlich bräuchte man hier einen Partner, zumindest zeitweilig, am liebsten wäre man Mitglied einer jener Seilschaften, die ständig und wohlgemut an A und B vorbeiziehen. „Monte Rosa“ endet mit der Ahnung, dass es irgendwo ein anderes Leben als das des ewigen Bergsteigers gibt.
Die Vision einer anderen Welt, nach vorn blickenden Welt beschwört auch „Wounds Are Forever“ der deutsch-israelischen Autorin Sivan Ben Yishai. Die Hausautorin des Nationaltheaters Mannheim macht sich, ausgehend von ihrer Biografie, selbst zur (von einem Mann gespielten) Protagonistin und reist auf dem Rücken eines Schäferhundes durch Zeit und Raum. Beginnend 2014 in Jaffa, führt die Reise ins Deutschland des Jahres 1938; mit dem Flüchtlingsschiff St. Louis geht es nach Kuba, dann an die russische Front, auf Irrwegen schließlich übers Mittelmeer nach Palästina, wo 1948 der Staat Israel entsteht.
„Wounds“ ist eine Reise durch Zeit und Raum
Die Reise durch die Abgründe der deutsch-israelisch-palästinensischen Geschichte, in deren Verlauf sich die Autorin zur Holocaust-Überlebenden, zur Partisanin, Zionistin, gnadenlosen Kämpferin und zurück zur (linken) Autorin verwandelt, endet 2014. Sivan verlässt Israel, ihr surrealer Schäferhund als Symbolfigur des übermächtigen Shoa-Traumas ist tot. Sivan erträgt es nicht länger, dass „das frische Blut, das aus den Wunden der Vergangenheit kommt, zur Tinte wird, mit der die Geschichte geschrieben“, immer weiter fortgeschrieben wird.