Bochum. Die zweite Ruhrtriennale-Saison der Intendantin Barbara Frey legt einen Schwerpunkt auf Musik und kritisches Theater. 32.000 Karten im Vorverkauf

Das ist wirklich mal ein besonderer Ruhrtriennale-Auftakt: Am 11. August erklingen die „Mysteriensonaten“ an drei Orten zur gleichen Zeit: in der Bochumer Turbinenhalle, in der Pumpenhalle des Landschaftsparks in Duisburg und auf Pact Zollverein in Essen, bevor dann das musiktheatralische Projekt „Ich geh unter lauter Schatten“ in der Bochumer Jahrhunderthalle Premiere feiert: Regisseurin Elisabeth Stöppler, das Klangforum Wien und das Chorwerk Ruhr erweitern einen Liedzyklus von Gérard Grisey zu einer szenischen Gratwanderung zwischen Leben und Tod. Auftakt für 107 Veranstaltungen an neun Industriekultur-Spielorten in Bochum, Duisburg, Essen und Gladbeck bis zum 18. September; der Verkauf der 32.000 Eintrittskarten beginnt heute.

Mit großer Zuversicht stellte Barbara Frey in Bochum das Programm ihrer zweiten Spielzeit als Intendantin der Triennale vor. Auch wenn von der Pandemie – bis auf die triennaleweit geltende Maskenpflicht – zurzeit keine wesentlichen Einschränkungen erwartet werden, wirft in diesem Jahr der Ukraine-Krieg einen Schatten über das Festival. So fällt mit der Kraftzentrale im Duisburger Landschaftspark die neben der Jahrhunderthalle größte Spielstätte aus. Mehrere Hundert geflüchtete Menschen aus der Ukraine werden dort beherbergt, was Barbara Frey ausdrücklich begrüßt; sie möchte sowohl die Bewohner als auch deren Helfer in das Festival einbeziehen. Außerdem sollen die derzeit in der Ukraine festsitzenden Musikerinnen Aela Zagaykevich und Yana Shlyabanska, die im letzten Jahr bei der Triennale mitgewirkt haben, soweit wie möglich eingebunden werden.

Barbara Frey inszeniert Arthur Schnitzlers „Das weite Land“ als Kapitalismuskritik

Frauenpower steht auch in diesem Jahr hoch im Kurs. Nahezu das gesamte Führungsteam und die Leitung vieler Produktionen sind weiblich besetzt. Auf ein übergreifendes Motto verzichtet die Intendantin wiederum bewusst. Viel mehr kommt es ihr auf die künstlerische Auseinandersetzung mit Leben und Tod aus möglichst vielen verschiedenen Perspektiven an. Barbara Frey selbst entwickelt mit Kräften des Wiener Burgtheaters Arthur Schnitzlers Tragikomödie „Das weite Land“ zum Psychogramm einer radikal durchkommerzialisierten Gesellschaft (Jahrhunderthalle, ab 20. August).

Zu den spektakulärsten Produktionen dürfte die sechsstündige, gattungssprengende Kreation „Respublika“ des litauischen Nationaltheaters unter Leitung des polnischen Regisseurs, Video-Künstlers und Ravers Łukasz Twarkowski zählen, bei der sich das Publikum frei bewegen kann (Jahrhunderthalle, ab 9. September). „Kollektive“ Projekte sind ohnehin diesmal stärker vertreten. So etwa die Tanzkreation „Hillbrowfication“, die die Berliner Choreografin Constanza Macras noch vor der Pandemie mit 21 Kindern und Jugendlichen aus dem Problemviertel Hillbrow im südafrikanischen Johannesburg entwickelt hat und jetzt in der Duisburger Gebläsehalle (25.-27. August) präsentieren wird. Die brasilianische Choreografin Ria Rodrigues will mit ihrer Compagnie mit dem Stück „Encantado“ die Bedrohung der Natur und er indigenen Völker ihres Landes thematisieren.

Florian Helgath und das Chorwerk Ruhr in der Gladbecker Maschinenhalle

Musik spielt eine zentrale Rolle. Nicht nur, was die großen Musiktheaterproduktionen angeht, darunter auch die szenische Uraufführung des Liederzyklus „Haus“ der Komponistin Sarah Nemtsov, sondern auch Konzertangebote von elektronischen Beiträgen im Rahmen der Maschinenhauskonzerte bis zu orchestralen Auftritten der Bochumer Symphoniker und der Duisburger Philharmoniker. Florian Helgath leitet das Chorwerk Ruhr und das Bochumer Orchester mit Werken von Strawinsky, Messiaen und Lili Boulanger in der Gladbecker Maschinenhalle, die Dirigentin Elena Schwarz erinnert am Pult der Duisburger Philharmoniker mit Werken von Galina Ustwolskaja, Liszt, Messiaen und Luigi Nono in der Jahrhunderthalle an „Vergessene Opfer“.

Fortsetzung der „Pappelwaldkantine“ aus der Ära Flimm mit mehr Gastronomie

500 Kunstschaffende aus 30 Ländern sind an der Ruhrtriennale beteiligt. Zu den Angeboten gehören auch zahlreiche Installationen, Literaturabende und Projekte für Kinder und Jugendliche, die nicht alle genannt werden können. Als großer Erfolg hat sich im letzten Jahr die „Pappelwaldkantine“ erwiesen. Ein Hain mit 311 in der Ära von Jürgen Flimm vor der Jahrhunderthalle angepflanzten Bäumen, der zum Essen und Trinken einlädt, wobei das gastronomische Angebot in diesem Jahr erweitert werden soll. Für Barbara Frey ein wichtiger Beitrag, um sich nach Jahren der körperlichen Distanz wieder näherkommen zu können. Soweit es die Pandemie erlaubt.

Informationen: www.ruhrtriennale.de