Essen. Prof. Karl Ganser, von 1989 bis 1999 als Chef der IBA Emscherpark Retter von Gasometern und Hochöfen, starb mit 84 Jahren in seiner Heimat.
Dass heute Touristen und Fachleute von China bis Peru ins Ruhrgebiet kommen, um zu staunen und zu erfahren, wie man das hier hinbekommen hat mit der Industriekultur, mit der Umnutzung des Bestehenden, mit der Verwandlung stinkender Dreckslöcher in lebenswerte Landschaften, dann ist auch vor allem Karl Ganser zu verdanken. Der überaus willensstarke, gleichermaßen intelligenz- wie fantasiebegabte Bauernsohn aus dem schwäbischen Mindelheim war als Geschäftsführer der Internationalen Bauausstellung Emscherpark (IBA) von 1989 bis 1999 der „Architekt des neuen Ruhrgebiets“, wie man ihn vielfach genannt hat. Jetzt ist Karl Ganser im Alter von 84 Jahren in seinem Heimatort Breitenthal bei Ulm gestorben.
Ganser war studierter Chemiker und Professor für Geografie, Ende der 60er-Jahre entwickelte er in München das erste Umweltkonzept für eine deutsche Stadt, später vereinte er das Institut für Landeskunde und das für Raumordnung in Bonn miteinander, bevor er dann 1980 als Abteilungsleiter ins Düsseldorfer NRW-Städtebauministerium wechselte. – und im Ruhrgebiet erfand er später eine ganz neue Form von Architektur, die zunächst einmal nur darin bestand, etwas nicht abzureißen. Das könne man später immer noch, sagte der listige Ganser oft, während er schon die eine oder andere zunächst noch verrückt klingende Idee im Kopf hatte. Die Idee dazu hatte er bei einem Waldspaziergang in seiner Heimat mit seinem damaligen Chef, dem NRW-Städtebauminister Christoph Zöpel (SPD).
Karl Ganser propagierte die Devise „Natur frisst Industrie“ und ein „magisches Dreieck“
Ganser erhielt etwa das Hochofengelände in Duisburg-Meiderich, das wir heute als Landschaftspark Nord kennen. Hier ist die radikale Umwandlung eines einstigen Hotspots der Umweltverschmutzung in ein Biotop für Natur und Kultur vielleicht am nächsten an der Vorstellung, die Karl Ganser in das Schlagwort „Natur frisst Industrie“ fasste. Für ihn gab es auch später noch ein „magisches Dreieck“ aus Nachhaltigkeit, Respekt vor der Geschichte und regionaler Identität. Er propagierte weitsichtig schon früh den „Wandel ohne Wachstum“ als Kreislaufwirtschaft im Flächen- und Energieverbrauch, im Gebäudebestand und in der Wasserwirtschaft.
Als Anfang der 90er-Jahre die Genehmigung für den Abriss des Gasometers in Oberhausen unterschriftsreif waren, zögerte Ganser nicht, die Keule auszupacken und mit seinem Rücktritt als Chef der IBA zu drohen. Als vor gut drei Jahren der Gasometer in Oberhausen sein 25-jähriges Bestehen als höchste Ausstellungshalle Europas feiern wollte, sollte eigentlich auch Karl Ganser kommen; als er dann absagte, war nicht ganz klar, ob es seinem Gesundheitszustand geschuldet war oder dem Groll darüber, wie das Revier umgeht mit dem, was er dort bewahrt, angestoßen hat. An der Akademie Mont Cenis in Herne wird noch jetzt gestritten um die Begrünung einer Grauwacken-Wüste – die war schon gegen den Widerstand Karl Gansers dort errichtet worden.
Karl Ganser schuf die Grundlagen für das Unesco-Welterbe Zollverein in Essen
Auch der Erhalt von Kokerei und Zeche Zollverein im Essener Norden war eines seiner 120 Projekte, die Grundlage für den heutigen Status als Unesco-Welterbe. Ganser hat aus der einstigen Hinterhof-Sickergrube des Reviers, der Emscherregion, eine fundamental veränderte, für Menschen und ihre Bedürfnisse renaturierte Landschaft gemacht. Dieser Mann, mit dessen Feuereifer das Ruhrgebiet zunächst fremdelte wie mit seinen schalschwingenden Bohemien-Auftritten, hat der Region das neue, heute so vertraute Format von organisch weiterentwickelter Geschichte, von geschichtsbewusster Modernität geschenkt. Johannes Rau nannte ihn einen „pragmatischen Visionär“. Einen wie ihn hatte das Ruhrgebiet bitter nötig.