Bochum. Alfred de Mussets Tyrannenmord-Drama „Lorenzaccio“ wirkt ungeahnt aktuell – Nora Schlocker bringt es im Bochum beeindruckend auf die Bühne.

Ein Tyrannenmord in einem riesigen Glaskasten: Ungewöhnliche Bilder findet Regisseurin Nora Schlocker für ihre erste Arbeit am Bochumer Schauspielhaus. In schlanken zwei Stunden (ohne Pause) gelingt ihr eine konzentrierte Aneignung des sprachgewaltigen Historiendramas „Lorenzaccio“ von Alfred de Musset, das ebenso komplex gebaut wie überraschend aktuell ist. Und ganz nebenbei besitzt die Aufführung eines der famosesten Bühnenbilder seit langer Zeit.

Als Kulisse dient – das Schauspielhaus selbst. Die braunen Sitzreihen, die Wandtäfelungen, die 50er-Jahre-Lampen: Das komplette wunderbare Interieur des großen Saals an der Königsallee hat Raimund Orfeo Voigt auf der Spielfläche nachbauen lassen. Die Theatergänger sitzen sich also gegenüber, wobei ein Platz auf der Bühne unbedingt zu empfehlen ist. So unmittelbar ins abgründige Spiel mit eingebunden ist man als Zuschauer selten. Aber keine Sorge, mitspielen muss niemand…

„Lorenzaccio“ war ein Geschenk von George Sand an Alfred de Musset

„Lorenzaccio“, das Alfred de Musset 1831 als Fragment von George Sand geschenkt bekam, führt ins Florenz des 16. Jahrhunderts und wirkt heute wie für eine Episode von „Game of Thrones“ erdacht. Warum es auf deutschen Bühnen so gut wie nie gespielt wird, ist nicht schwer zu erraten: Die Geschichte ähnelt stark Shakespeares „Hamlet“, verfügt dabei aber über ein weit verzweigtes und teils nur schwer durchschaubares Handlungsgeflecht, das Nora Schlocker für ihre Bochumer Fassung mächtig eingedampft hat.

Anschaulich bricht sie das Drama auf den Grundkonflikt herunter. Am Hof der Medici klammert sich Fürst Allesandro (Ingo Tomi gibt ihn als angriffslustigen Kraftprotz) mit aller Kraft an die Macht, getragen von Papst und Kaiser, berauscht von Pomp und Dekadenz. Das darbende Volk um ihn herum wünscht dem Fürsten schon lange den Tod, doch das Kettenhemd final vom Leib ziehen kann ihm nur einer: sein Vetter Lorenzaccio.

Was passiert nach dem Tyrannenmord?, fragt die Inszenierung

Allein: Der junge Heißsporn ist alles andere als ein durchtriebener Mörder. Schon beim Anblick eines Degens wird ihm übel. Marius Huth läuft in der dankbaren Rolle des zerrissenen Helden zu großer Form auf. Beeindruckend, wie er die Widersprüche, aber auch den Witz und den jugendlichen Leichtsinn seiner Figur zum Leuchten bringt.

Obwohl schon weitaus länger geplant, gewinnt die Aufführung im Angesicht des Ukraine-Kriegs bittere Schärfe. Einen Despoten mittels Meuchelmord aus dem Weg zu räumen, mag eine Lösung darstellen, doch folgt auf die Revolte wirklich die Chance auf ein friedliches Leben? Als Politiker Filippo Strozzi ist Stefan Hun­stein die Vaterfigur auf der Bühne, die die junge Generation bebend vor den Folgen eines Machtvakuums warnt – letztlich vergebens, wie Lorenzaccios Bluttat mit ungewissem Ausgang in dem großen, weiß ausgeleuchteten Glaskubus mitten auf der Bühne zeigt.

Das Publikum im längst nicht ausverkauften Schauspielhaus spendet viel Beifall, das Regieteam zeigt sich erheblich erleichtert. Schon drei Male sollte „Lorenzaccio“ in den vergangenen Wochen Premiere feiern, diverse Corona-Fälle verhinderten es immer wieder. Erst beim vierten Anlauf hat‘s geklappt. Eine opulente Aufführung mit elf Schauspielern und vier Musikern ist dieser Tage eben nicht ohne Risiken.

Termine: 26. und 27. Mai. Karten: Tel. 0234 / 33 33 55 55