Venedig. Die 59. Kunstbiennale von Venedig ist eröffnet. Maria Eichhorn will den umstrittenen deutschen Pavillon (Nazi-Architektur) versetzen. Theoretisch.

Kulturschaffende haben am Freitag auf dem Gelände der Kunstbiennale in Venedig vor dem Russischen Pavillon gegen den Krieg in der Ukraine protestiert. In den Giardini versammelten sich Künstlerinnen und Künstler, Galerie-Beschäftigte, Kuratoren und Kuratorinnen. Der ukrainische Schauspieler Alexey Yudnikov zelebrierte einige Minuten eine Performance, bevor Polizisten ihn abführten. Die coronabedingt um ein Jahr geschobene 59. Biennale wird an diesem Samstag offiziell eröffnet und präsentiert bis November neben der Ausstellung „The Milk of Dreams“ mit mehr als 1500 Arbeiten von 213 Künstlerinnen und Künstlern aus 58 Ländern auch die Pavillons von 80 Nationen.

Der russische Pavillon steht nach dem Rückzug des künstlerischen Teams in diesem Jahr leer. Auf dem Biennale-Gelände ist das Gebäude prominent platziert und wird die ganze Zeit von Polizei bewacht, um Übergriffe aus Protest gegen den russischen Angriff auf die Ukraine zu verhindern.

Die Biennale von Venedig ist das wichtigste Weltkunst-Forum neben der Documenta

Die 1895 gegründete, alle zwei Jahre stattfindende Biennale di Venezia ist weltweit das älteste Forum für zeitgenössische Bildende Kunst; sie gilt neben der Documenta in Kassel als wichtigste internationale Ausstellung ihrer Art.

Das Konzept der Kunstbiennale ist zweigeteilt. Das zentrale Ausstellungsgebäude in den parkähnlichen Giardini sowie einige Hallen des alten Marinegeländes Arsenale beherbergen eine übergreifende Ausstellung. Dafür hat die in New York lebende Kuratorin Cecilia Alemani mehr als 200 Künstlerinnen und Künstler aus fast 60 Ländern eingeladen.

Maria Eichhorn legt die Bausubstanz frei und versetzt den Pavillon – in der Phantasie

Daneben stehen die national betreuten Pavillons. Rund 80 Länder präsentieren Künstlerinnen und Künstler in ihren historischen Giardini-Pavillons, den Arsenale-Hallen oder Galerien, Kirchen und anderen Orten auf ganz Venedig verteilt. Der deutsche Pavillon ist mit einer Arbeit der Berliner Künstlerin Maria Eichhorn eröffnet worden. Sie hat für ihre Arbeit „Relocating a structure“ die bauliche Substanz und damit die Geschichte des von den Nazis in faschistischer Architektur umgestalteten Gebäudes freigelegt. Statt rund 1500 Tonnen faschistischer Architektur ein leerer Platz zum Nachdenken über Diktatur, Widerstand und die Rolle der Kunst. Ein Plan Eichhorns war, das komplette Gebäude für die Zeit der Biennale umzusetzen und vom Gelände zu entfernen. Schon die Vorstellung davon ist für sie nun Teil des Kunstwerks.

Die Nazis haben den ursprünglich als Bayerischer Pavillon errichteten Bau nicht abgerissen, sondern monströs erweitert: eine vier Meter höhere Decke, Vergrößerung um eine Apsis, mächtige Säulen statt schmaler Pfeiler im gewaltigen Portikus. Eichhorn ließ die Schnittstellen freilegen. Hinter dem Putz sind nun zugemauerte Durchgänge sichtbar, ehemalige Außenwände, alte Verbindungen, Beton der Nazis auf gemauerten Wänden.

Martin Kippenbergers „U-Bahn-Schacht“ freigelegt

Der Boden wurde auch mit Hilfe von Archäologen aufgebrochen. Genau ist nun zu erkennen, wo sich die Baustrukturen von Bayerischem Pavillon und Nazi-Umbau kreuzen. Freigelegt ist dadurch zudem der „U-Bahn-Schacht“ zu Martin Kippenbergers (1953-1997) weltumspannender Metro, der zur Biennale 2003 posthum realisiert wurde. Erfreut hat Eichhorn nach eigenen Angaben auch die Entdeckung eines alten Kamins mit markierten Ziegeln, der möglicherweise noch aus napoleonischen Ursprüngen des Geländes stammt.

Der Deutsche Pavillon war wegen seiner Nazi-Architektur oft Anlass künstlerischer Ausein­andersetzung mit der Vergangenheit. Zur Biennale 1993 ließ Hans Haacke den Boden zertrümmern. Eichhorn bezieht sich auch direkt darauf, indem sie Haacke interviewt für den Katalog, der mit umfangreichem Archivmaterial über den Pavillon zum Kunstwerk gehört. Dritter Teil der Arbeit sind Führungen zu Orten des Widerstandes gegen die Nazis in Venedig, die während der gesamten Biennale-Zeit organisiert werden.

Verbohrt in die Vergangenheit? – „Wir sind davon beeinflusst“

Verbohrt in die Vergangenheit? „Meine Arbeiten befassen sich mit der Gegenwart“, sagte Eichhorn vor der Biennale. „Also: Wie gehen wir heute mit den Nachwirkungen unserer Geschichte um? Der Pavillon ist Teil der Geschichte und wir sind heute davon beeinflusst, ob wir wollen oder nicht.“

Die Biennale-Preise, darunter der Goldene Löwe für den besten nationalen Beitrag, werden am Samstag vergeben. Dann erhält auch die für ihre Plastiken international gefeierte Düsseldorfer Künstlerin Katharina Fritsch den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk.