Essen. „Die schweigsamen Affen der Dinge“ von Hilmar Klute ist mehr als ein Ruhrgebietsroman: plauderfreudig, intellektuell anregend.
Hilmar Klute, „Streiflicht“-Redakteur der Süddeutschen Zeitung, hat nach „Was dann nachher so schön fliegt“ (2018) und „Oberkampf“ (2020) seinen dritten Roman vorgelegt. Der Titel ist erklärungsbedürftig, das Milieu, in dem er spielt, hingegen aus Klutes Erstling vertraut. Der Protagonist Henning Amelott wuchs im Ruhrgebiet auf, studierte in München und lebt als Kulturjournalist in Berlin. Eine Gedicht-Zeile des Expressionisten Oskar Loerke („Die Schatten werden länger, / Die schweigsamen Affen der Dinge ...“), hat ihn dermaßen beeindruckt, dass er einem Lifestyle-Magazin einen Essay über diesen Dichter anbietet, obwohl er den eigentlich gar nicht kennt.
Während er sich mit dem Artikel erfolglos quält, erhält er bei einem Kurzurlaub in Rom die Nachricht vom Tod seines Vaters. Der gelernte Maurer, in verschiedenen Berufen gescheitert und doch mit sich und dem Leben zufrieden, hat das Ruhrgebiet nie verlassen und Urlaube nur an Orten mit vergleichbarer kulinarischer und kultureller Grundversorgung verbracht. Obwohl Henning keine Beziehung zu diesem Vater hatte, fährt er zur Beerdigung nach Recklinghausen.
Hilmar Klute arbeitet mit Erinnerungen, Erzählungen und alte Fotos
Die mit autobiografischen Splittern durchsetzte Geschichte eines mühseligen, durch Kränkungen gezeichneten sozialen Aufstiegs haben andere (wie Nicolas Born, Karin Struck oder Ralf Rothmann) schon früher erzählt. Neu ist Klutes Idee, die aktuelle Lebenswelt des Protagonisten in szenischen Miniaturen mit dem Milieu seiner Herkunft zu konfrontieren. Bei der Beerdigung erfährt Henning von einem Jugendfreund des Vaters, dass der nicht immer so war, wie jener Mann, der die Familie im Stich ließ und kein Interesse für den Werdegang seines Sohnes zeigte.
Angeregt durch Erinnerungen, Erzählungen und alte Fotos beschließen die beiden, eine Korsika-Reise, die der Freund vor Jahrzehnten mit dem Vater unternommen hatte, zu wiederholen. Das gestaltet sich komplizierter als geplant, zumal der Abgabetermin für den Loerke-Essay näher rückt – und gerät zu einem unterhaltsamen Roman über Vater-Sohn-Beziehungen, über Ruhrgebiets-Herkunft und mediterrane Welten, über Ess- und Trink-Kultur, übers Weggehen und Dableiben, über Erinnerungen und Träume, über die Literatur und das Schreiben. Details seien nicht verraten, um niemandem den Lesespaß zu verderben.
Klutes Talent, Situationen und Stimmungen in ein paar Sätzen lebendig werden zu lassen
Der ist garantiert, auch wenn manches an diesem Buch irritiert. Seine Struktur ist unübersichtlich, einzelne Figuren drohen ins Klischee abzugleiten, andere (wie die Mutter) bleiben blass und konturlos, aber insgesamt ist es ein originelles Stück lebendiger Gegenwartsliteratur. Klutes Talent, Orte, Situationen und Stimmungen in ein paar Sätzen lebendig werden zu lassen, ist beeindruckend. Gastronomische Miniaturen (ob in römischen Cafés, in korsischen Dorfkneipen, im Speisewagen der Deutschen Bahn, in Ruhrgebiets-Lauben oder in einer Berliner Szene-Bar), urkomisch-traurige Szenen (wie der Besuch beim verwitweten Zahnarzt, der in Loerkes ehemaligem Berliner Haus lebt) und pointierte, in wenigen Worten komprimierte Zeitdiagnosen machen die Lektüre des Romans zum intellektuellen Vergnügen.
Hilmar Klute: Die schweigsamen Affen der Dinge. Galiani Berlin, 281 S., 22 €.