Ernsthafte Themen, unterhaltsam präsentiert: Hilmar Klutes „Was dann nachher so schön fliegt“ blickt zurück in die 80er-Jahre des Ruhrgebiets.
Für Hunde interessiere er sich so wenig wie für Handballergebnisse oder die Romane von Uwe Johnson, hat Hilmar Klute, im Hauptberuf „Streiflichter“-Redakteur bei der ‚Süddeutschen Zeitung’, einmal behauptet. Trotzdem hat er ein Buch über Hunde geschrieben, ein anderes über Katzen und schließlich den Roman „Was dann nachher so schön fliegt“ – weniger sperrig allerdings als Johnsons Prosa, näher am Literaturbetrieb (mit dem Johnson immer fremdelte) und ganz nah am Ruhrgebiet (wo Johnson wahrscheinlich nie war).
Aus ganz gewöhnlichem Material schlägt Klute helle Funken, die den Alltag in der Metropole Berlin (West) und in der Provinz an der Ruhr (die sich jetzt Metropol-Region nennt) gleichermaßen zum Leuchten bringen. Die Geschichten aus dem Leben des Volker Winterberg – der Zivildienst im Bochumer Seniorenheim leistet, von Tagungen der längst aufgelösten Gruppe 47 träumt, poetische Erweckung in Paris sucht und an einem Jungpoeten-Treffen in West-Berlin teilnimmt – fächern ein buntes Panorama der 1980er-Jahre in Bochum, Berlin und anderswo auf. Deprimierende Erlebnisse im Altersheim geraten dabei ebenso zu poetischen Miniaturen, wie trostlose Abende in Gelsenkirchener Kneipen, missglückte Liebesaffären oder Erfahrungen mit den Eitelkeiten des Literaturbetriebs.
Berührungen mit Peter Rühmkorf, Nicolas Born, Ernst Meister und Hugo Ernst Käufer
Eine wichtige Rolle spielen die teils realen, teils herbeigeträumten Begegnungen des Protagonisten mit seinen literarischen Idolen: Der Titel des Romans zitiert einen Satz Peter Rühmkorfs über die Mühen des Schreiben, Nicolas Borns Gedichte und dessen Flucht-Versuche aus dem Ruhrgebiet dienen Winterberg als Vorbild (wogegen ihn Erich Frieds eingängige Lyrik eher abschreckt), Hugo Ernst Käufer ist ihm wohlwollender und zugleich einschüchternder Mentor, und in Hagen begibt er sich auf die Suche nach Lebensspuren von Ernst Meister. Man ist dauernd unterwegs mit diesem Protagonisten – in der Geografie und in der jüngeren Literaturgeschichte – und stellt dabei überrascht fest, wie lebendig die Literaturszene der Region schon 30 Jahre vor Erfindung der Lit.Ruhr war.
Der Roman prunkt mit originellen Sprachbildern und wunderschönen Sätzen, die Vertrautes in neuem Licht aufscheinen lassen. Das hat Suchtpotential; man möchte immer weiter lesen und wird nach 365 Seiten von einem abrupten Schluss kalt erwischt. Es scheint, als ob dem Autor das Schreiben mindestens soviel Spaß gemacht hat, wie mir das Lesen und er sich mit dem ein bisschen zu pathetischen Schluss davon losreißen musste. Den Gesamteindruck eines wunderbaren Buchs schmälert das aber nicht. Selten konnte man so viel Intelligentes und zugleich Kurzweiliges lesen – über das Ruhrgebiet und über die Literaturszene, übers Heranwachsen (des Protagonisten) und übers Wegdämmern (seiner Klienten). Ernsthafte Themen, unterhaltsam präsentiert – das gibt’s also doch nicht nur in angelsächsischen Romanen.
Hilmar Klute: Was dann nachher so schön fliegt. Roman. Verlag Galiani Berlin, 365 Seiten, 22 Euro.