Dortmund. Lichtblick im nicht eben erfolgsverwöhnten Dortmunder Schauspiel. Julia Wissert glückt mit „Kinderkriegen 4.0“ eine turbulent inszenierte Komödie.
Wem der nervtötende Nachwuchs in den eigenen vier Wänden mal wieder gehörig auf den Keks geht, dem sei ein amüsanter Abend im Schauspiel Dortmund empfohlen, der wirkt wie eine zu Text gewordene Antibabypille. In „Kinderkriegen 4.0“ von Kathrin Röggla sind die lieben Kleinen nur dazu da, um ihren überforderten Eltern das Leben zur Hölle zu machen.
Bis tief hinab ins familiäre Martyrium führt Intendantin Julia Wissert, der mit dieser bösen Komödie ihre bislang beste Dortmunder Arbeit gelingt. In Rögglas fast schon zehn Jahre altem Stück, dem die Autorin unter dem Zusatz „4.0“ jetzt ein leichtes Update gegeben hat, werden die Gaga-Gespräche der Erwachsenen zwischen Krabbelgruppe und Babyturnen zur wirren Freak-Show.
Kathrin Rögglas „Kinderkriegen 4.0“ feierte Premiere am Schauspiel Dortmund
Sämtliche Klischeebilder sind hier versammelt: Die Rabenmutter, die Oma, die Spätberufenen, die Kinderlose und der treusorgende Jung-Papi sitzen gemeinsam in einem ICE-Abteil und streiten munter übers Kinderkriegen und Elternsein. Witzigerweise ist der kleine Henry, der immer zur falschen Zeit wach wird, als einziger Knirps in der Runde auf der Bühne nie zu sehen.„Solang sie noch klein und putzig sind, ist alles kein Problem“, überlegt Bettina Engelhardt als ältere Mutter. Doch wehe, die Biester werden größer, bekommen Hunger und ihren eigenen Willen.
Kinder sind schrecklich, vielleicht auch eine „Verschwörung der Windelindustrie“
„Dauernd ist man auf dem Weg ins Krankenhaus“, seufzt der engagierte Vater (Christopher Heisler). Derweil gerät die Kinderlose (Linda Elsner) unter Rechtfertigungsdruck: „Was ist das für eine Welt! Wer will da noch Kinder bekommen“, jammert sie. Und überhaupt sei der Wunsch nach einem eigenen Kind ohnehin nicht viel mehr als ein brillanter Marketing-Gag: „Alles nur eine Verschwörung der Windelindustrie“, meint der loyale Bundestagsabgeordnete (Adi Hrustemović), der blau-goldene Europa-Socken trägt und alles erstmal ganz locker sieht.
Wie in vielen guten Satiren sind die Figuren reine Abziehbilder, denen die Autorin treffsichere Dialoge mit auf dem Weg gibt. Ihre wilden Assoziationsritte erinnern nicht selten an die Sprachspiele Jelinekscher Gangart. Vom ICE ins Wellness-Hotel, vom Spielplatz bis in eine Kinderarztpraxis folgt man dieser illustren Gesellschaft in 100 pausenlosen Minuten. Die Bühne von Moira Gilliéron sieht dabei aus wie ein riesiges Klettergerüst.
Typen wie Abziehbilder, aber mit großer Spiellust vom Ensemble gezeichnet
Eine Menge Sorgfalt verwendet Wissert darauf, ihr kraftvoll agierendes Ensemble zu einer Einheit zu formen, jeder Darsteller bekommt seinen leuchtenden Moment. Ganz vorn mit dabei: die starke Nika Mišković als zornige Rabenmutter und die großartige Martina Eitner-Acheampong als Oma. In ihrem ersten Dortmunder Engagement überstrahlt sie so manche Szene mit natürlichem Charme. Verschenkt hingegen bleibt der Einsatz des Dortmunder Sprechchores, der als eine Art vielstimmiger Internetchat über Video zugeschaltet wird, aber wenig Erhellendes beizutragen hat und obendrein schwer zu verstehen ist.
Am Ende, soviel sei verraten, dreht Wissert mutig an der Spirale des Wahnsinns. Die rabiaten letzten zehn Minuten dieser Aufführung machen großen Spaß. Wenn Ekkehard Freye die Kettensäge anwirft, geht besser in Deckung, wer in diesem Leben noch einen Elternabend besuchen möchte. Viel Beifall.