Essen. Verdunkelungsgefahr in Essen: Das Aalto-Theater zeigt einen neuen „Don Carlo“. Die Inszenierung ist vorwiegend in Schwarz getaucht.
Verdis „Don Carlos“ hat man dem Aalto-Theater an der Wiege gesungen. Er war zur Eröffnung 1988 einer der ersten Inszenierungen. Dietrich Hilsdorf lockte damals lustvoll den antiklerikalen Skandal, aus dem eine Jahrzehnte bejubelte Inszenierung wurde. Gewiss: Es war nun Zeit, Neues zu wagen. Jedoch: Den frechen Feuerwerkskörper von einst hat das Opernhaus seit Samstag gegen einen finsteren Blindgänger eingetauscht.
Apropos blind: Jener kaltherzige Großinquisitor, auf dessen fehlendem Augenlicht Verdi so sehr bestand, kann in Robert Carsens Inszenierung offenbar sehen. Vielleicht hilft es ihm als Einzigem, dass nahezu vier Stunden Dunkelheit auf der Bühne herrscht? Der Konsequenz, eine Tragödie ins anthrazitgetönte Schattenreich gruftartigen Kirchengemäuer zu tauchen, möchte man etwas abgewinnen. Doch tappt man im Dunkeln, was Erkenntnis, Tiefgang, gar Substanz dieser langen, nicht selten langweiligen Veranstaltung anbetrifft.
Alles ist Kloster in Robert Carsens „Don Carlo“, das macht es den Figuren schwer
Der hermetisch endende Kasten, den Radu Boruzesco baute, gehört jedenfalls der Kirche, ihren grotesken Machtspielen, ihren Tätern, ihren Opfern. Es sind Menschen, die das Drama – Schillers ganz besonders – liebt: Jede(r) liebt den Falschen, zugleich sitzen alle in dieser kaputten Clique auf ihre Weise am Schalthebel Europas. Denn „Don Carlo“ (in Essen wählt man die Mailänder Fassung ohne Holzfäller und Kitsch-Stelldichein der Liebenden im Wald von Fontainebleau) kreist um das Terrorsystem des menschlich längst isolierten Autokraten Philipp von Spanien.
Blutrünstig trennt er Gut von Böse, die Kirche ist ihm gern behilflich. Sätze wie aus einem Propaganda-Auftritt unserer Tage: „Blut kann allein in meinem Reich den Frieden sichern“ – wie grässlich nah diese Typen der aktuellen Nachrichtenlage sind. Wie könnte eine gerade auf Zeitlosigkeit (gestützt von Petra Reinhardts unverbindlichen Kostümen) zielende Inszenierung uns aufrütteln. Aber weitgehend lässt der Abend kalt. Ist – sechs Jahre nach der Straßburger Premiere dieser Arbeit – die Arbeit mit Sängern als Darsteller auf der Strecke geblieben? So scheint es. Sie alle agieren (vielfach an der Rampe) in schmalem, allzu erwartbaren Gesten-Repertoire. Und wie sollen sie sich sonst aus einer Einförmigkeit befreien, in der alle irgendwie dauernd Nonne, Mönch oder Papst sind?!
Zwei Regie-Einfälle pro Stunde, Verdis neuer „Don Carlo“ in Essen hat langweilige Phasen
Der Kanadier Carsen hat dem internationalen Opernbetrieb viele starke Abende geschenkt. Fürs Aalto-Theater reicht es nur zum Blackout. Rar sind Lichter der Inspiration, es gibt eine Handvoll staunenswerter Tableaus, dann aber ist wieder Nacht über Essen. Zwei harmlose Regie-Einfälle pro Stunde sind einfach zu wenig. Dazu peinsames Dilettieren: Immer wieder fährt Carsen dutzende Lilien auf – recht schlichtes Symbol für die gebürtige Französin Elisabeth, die Philipps Sohn Carlo liebt. Aber wenn die heraldische Botanik verteilt wird, klappern die Plastikstiele der Kunstblumen zum Erbarmen. Dazu die Simpeleien mit Requisiten: ein Globus auf dem Schreibtisch eines Diktators. Donnerwetter!
Musikalisch hält sich der Abend tapfer, wenn auch nicht durchweg überragend. Essens Philharmoniker (exemplarisch in der „Vanitas-Arie“) bestätigen ihren Rang als wohl bestes Opernorchester NRWs, auch wenn an einigen Stellen (wegen Andrea Sanguinetis Mordstempo bei Sarazenen-Arie oder Autodafé-Eröfffnung) kostbare Details auf der Strecke bleiben.
Riesenbeifall für Essens Philharmoniker und Ante Jerkunica als Philipp
Größter Jubel für Ante Jerkunica: als Philipp singt sein Bass die Bandbreit vom brutalen Despoten bis zum verletzlichen Gatten grandios aus. Philipps Zweitfrau Eboli Nora Sourouzians singt ihren erotikgeladene erste Arie kaum sinnlich (weniger Melissengeist, mehr spanische Fliege, bitte!), läuft aber im Furor der Verzweiflung später zu starker Mezzo-Form auf. Gaston Rivero singt die Titelrolle (laut Carsen ein Bruder Hamlets) in Hingabe und Leidenschaft, da nimmt man ein paar Girlanden aus der Schule des Gondoliere-Schluchzers in Kauf. Carlos Freund Posa ist Jordan Shanahan: ein Bariton mit Noblesse und Stil; dass er mal Posaunist war, hört man glücklicherweise nicht. Chor und Extrachor agieren auf hohem Niveau.
Das Publikum nahm die Premiere teils leicht sediert, größtenteils aber mit Wohlwollen auf. Es galt der Musik. Eine Anerkennung der Regie konnte unser Applausometer leider nicht aufzeichnen. Sie trat nicht vor den Vorhang.
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KARTEN UND TERMINE
Die nächsten Aufführungen von Verdis „Don Carlo“ sind am 25. und 30. März. Weitere Aufführungen bis 19. Juni.
Karten für die Aufführung im Aalto-Theater kosten 16-55€. Tel. 0201-8122200.