Essen. Mit großer Corona-Verspätung nun auf dem Spielplan: Henry Purcells „Dido and Aeneas“ hatte Sonntag Premiere. Das Publikum feierte die Barockoper.

So kurz das Glück, so ewig das Leid: Diesem Missverhältnis verdankt die Oper seit rund vierhundert Jahren ihre schönsten Momente, einst hießen sie Lamento. Henry Purcell, der sich nicht genierte, dem fortschrittlichen Italien seine besten Würfe abzulauschen, schuf aus diesem Genre mit Didos Klage einen Solitär der frühen Operntage. Zu hören ab sofort im Aalto-Theater.

„Dido and Aeneas“, entstanden um 1688, ist eine der Produktionen, die man angesichts der durch Corona permanent wankenden Bühnenbretter auch in Essen für eine sichere Bank hielt: sehr kleines Orchester, wenige Solo-Partien, ein Chor, den man mit AHA-Choreografie inszenieren kann. Aber zu ist zu – und so kam Ben Baurs Inszenierung Sonntag nun doch deutlich verspätet erst mit der vierten Welle zur Premiere.

Ein Wort zu klein besetzten, ja für heutige Verhältnisse geradezu intim orchestrierten Opern: Es sagt viel über die meisterlich ausgeklügelte Architektur des Aalto-Theaters, dass selbst in einem riesigen Zuschauerraum Purcells Klänge überaus tragfähig das Haus füllen. Die bestechende Brillanz, zugleich die pulsende Emotion der Tragödie erfühlen Essens Philharmoniker und der Leitung Andrea Sanguineti (zugleich am Cembalo) auf betörende wie anrührende Weise. Eine Attraktion, die dem Szenischen mitunter den Rang abläuft.

„Dido and Aeneas“ in der Regie von Ben Baur neu auf dem Aalto-Spielplan

Oben auf der Bühne zeigt Ben Baur eine Auslegung , die zwischen Lethargie und Liturgie pendelt. Als schwebe Shakespeares düsteres „Foul is Fair“-Motto über dem Einstünder, löst Baurs Regie die Zuschreibung von Gut und Böse auf. Die Zauberin (Bettina Ranch), die Didos Liebe zum Krieger Aeneas durch einen Trug zerstört, ist optisch identisch mit der Titelheldin. Auch Hofstaat und Hexen scheinen aus ein und demselbem Holz: schwarze Klageweiber, deren wahres Ziel und Gefühl unkenntlich ist. Das Doppelgänger-Motiv, dem die Inszenierung attraktive Momente, aber kaum Mehrwert verdankt, variiert bei Aeneas – er tritt in drei Menschenaltern auf: ihm gleich, unabwischbar blutig vom Schlachtengetümmel gezeichnet, sind ein Greis und ein Knabe zur Seite gestellt.

Baurs Reduktion (sie prägt auch das von ihm geschaffene Bühnenbild) ist nicht ohne ästhetischen Reiz: Die Inszenierung, permanent beheimatet auf dem schwarzen Asche-Teppich der Zerstörung; ist konzentriert puristisch und folgt dem Charakter des Werks, das die großen Wendungen und Ereignisse vor allem Klang und Wort überlässt. Weniger freundlich ließe sich dem Abend eine gewisse erzählerische Breite bescheinigen, die uns kaum länger im Parkett halten könnte als die Spieldauer es vorsieht.

Die glänzende Akustik des Essener Opernhauses beschert dem kleinen Orchester große Momente

Das Publikum spendete ausnahmslos reichlich freundlichen Beifall. Er galt nicht zuletzt einem ausgezeichneten, stilsicher filigran singenden Opernchor und unter den Solisten vor allem Jessica Muirheads Dido, in deren Rollenporträt vor allem eine staunenswerte Piano-Kultur bannt. Tobias Greenhalgh wertet Aeneas’ wenig dankbare Partie unter anderem durch imposante heldische Physis auf. Christina Clark und Giulia Montanari meistern ihre Doppelrollen souverän.

Nächste Aufführungen: 9., 16. Januar, Karten (ab 11€) 0201-8122200