Essen. Judith Kuckart war Dortmunds Stadtschreiberin, bezauberte mit dem Film „Hörde, mon Amour“. Jetzt gibt’s ihr neues Buch: „Café der Unsichtbaren“.

Judith Kuckart kann gut zuhören, das hat sie zuletzt als Dortmunds Stadtbeschreiberin unter Beweis gestellt – und aus ihren Gesprächen mit Bewohnern des Stadtteils Hörde den bezaubernden Film „Hörde, mon Amour“ geschaffen.

Die Schriftstellerin, 1959 in Schwelm geboren, absolvierte zunächst eine Ausbildung zur Tänzerin an Essens Folkwang-Uni, studierte in Köln und Berlin Literatur- und Theaterwissenschaft und gründete ein eigenes Tanztheater. Diese Projektarbeit, dieses Gemeinsame, aber eben auch das Zuhören fließen jetzt ein in ihren nunmehr zehnten Roman „Café der Unsichtbaren“: Sieben Menschen verbindet die Arbeit beim Sorgentelefon, ein Osterwochenende begleiten wir sie.

Theologiestudentin, Pensionär, Buchhalterin und Bauarbeiter

Die vielleicht erwartbarste Figur ist Rieke, die Theologiestudentin; dann gibt es noch den Pensionär Lorentz und die Buchhalterin Marianne, aber auch Wanda, die für ein DDR-Museum Ausrangiertes sammelt oder Matthias, der seine Wohnung mit wenig mehr als einem Schlafsack möbliert hat und Bauarbeiter ist, einer mit Narben und Vergangenheit und einer Liebe zur schönen Emilie, die ebenfalls Sorgentelefonistin ist. Vielleicht am Rätselhaftesten aber ist die Ich-Erzählerin von Schrey, beinahe 80 Jahre alt und von Schlaflosigkeit geplagt. Sie ist weniger Erzählerin denn, eben: Zuhörerin: „Wer erzählen will, muss nur eine Zeit lang zuhören, nein, hinhören!“

Frau von Schrey, wie auch die Kolleginnen und Kollegen sie nennen, stellt sich vor, „was wir am Abend des ersten Ausbildungstages daheim wohl machen würden“, sie sieht Lorentz Hemden bügeln und Matthias „zu viel trinken“ und Wanda auf dem Sofa liegen, Rieke aber würde ihre Semesterarbeit über den Syrer Lukian schreiben, der 150 Jahre nach Christus Gespräche mit realen und fiktiven Personen führt: „Ein guter Ansatz, fand ich, und nickte Riekes leerem Stuhl zu. Denn was ist schon fiktiv und was ist real existierend, mein Kind, wo bitte soll da der Unterschied sein?“

Berliner Nacht leuchtet so hell wie die Leuchtreklamen der Spätis

Kuckarts Konzept also ist damit gesetzt, dankenswerterweise stattet sie das Kopfkino ihrer Erzählerin höchst lebendig und gegenwärtig aus, lässt die Berliner Nacht so hell strahlen wie die Leuchtreklame der Spätis und wartet zugleich mit einem Gespinst an Geschichten auf, die bis in die geisterhafte Vergangenheit ragen, von frühen Verletzungen und späten Einsichten künden. Das kommt mit leichter Hand daher, mit feinem Sprachwitz und einem Gefühl für Balance. Wenn Emilia sich bei von Schrey beschwert, dass sie „keine richtige Figur“ sei, „nur dramaturgische Funktion habe“ („Ich komme mir vor wie eine von diesen albernen Prinzessinnen bei Shakespeare“), dann könnte dies ebenso gut nächtliche Zwiesprache mit einer inneren Stimme sein.

Sorgentelefon wird zum poetischen Chor

Wer spricht? Die Stimmen an diesem und jenem Hörer des Sorgentelefons verdichten sich zu einem poetischen Chor, es geht um den Glauben an sich, um die Lasten, die jeder einzelne zu tragen hat – und um den Keim der Hoffnung.

Judith Kuckart: Café der Unsichtbaren. Dumont, 208 S., 23 €. Lesung: 9. März, 19.30 Uhr, Literaturhaus Dortmund. Weitere Infos: www.judithkuckart.de.