Essen. Diana zwischen Prunk und Pflicht: In Pablo Larraíns Drei-Tage-Film „Spencer“ kommt Kristen Stewart der echten Princess of Wales verblüffend nahe.
Niemand erhebt sich über die Tradition, sagt Major Gregory. Er muss es wissen. In diesem Jahr wurde er zum neuen Verwalter von Sandringham House ernannt. Der Landsitz in Norfolk beherbergt die Royal Family traditionell zwischen Weihnachten und Ende Januar.
Man schreibt das Jahr 1991. Alle haben sich pünktlich eingefunden, aber eine Person fehlt. Diana Spencer hat sich selbst ans Steuer ihres offenen Porsche Cabrios gesetzt und nun unterwegs offenbar die Orientierung verloren. Ihre Bedrückung ob des Verstoßes gegen das Protokoll weicht schnellt einer trotzigen Gegenreaktion: „Was können sie schon machen? Mich umbringen?“
Schein, Prunk und eiserne Disziplin im Alltag
Was folgt, ist eine fortgesetzte Folge des Aufbegehrens gegen die Korsage des Protokolls, den königlichen Pflichtenkatalog, das ungeheizte Schlafzimmer. Und vor allem gegen das berechtigte Gefühl, während dieser drei Tage ständig unter Beobachtung zu stehen. Wie das vermutlich immer so ist, wenn man in ein Gefüge Einzug hält, wo der schöne Schein und der märchenhafte Prunk einhergehen mit eiserner Disziplin im Alltag und der Bereitschaft, die individuelle Befindlichkeit stets der Institution unterzuordnen. Diana leidet, hat Visionen, wünscht sich ihr altes Leben wieder zurück. Kleinigkeiten wie ein Fototermin werden zu kaum überwindbaren Hindernissen.
Der Chilene Pablo Larraín entwickelte sich in den letzten zehn Jahren zu einer Regiepersönlichkeit. In seinen Filmen weiß er, das Private im Spiegel des Politischen zu zeigen und mit melodramatischer Könnerschaft schillernden Frauenfiguren aus anderen Blickwinkeln zu begegnen als nur aus den herkömmlichen. Dass Larraín dabei auch ein superber Schauspielerregisseur ist, zeigte sich schon 2016, als Natalie Portman in „Jackie: Die First Lady“ mit einer Darbietung aufwartete, die für den Oscar nominiert wurde.
Konfrontation mit einem übermächtigen Familiengefüge
Nun ist es Kristen Stewart, die als Princess of Wales allerdings unter anderen gesellschaftlichen und historischen Vorzeichen in die Konfrontation mit einem übermächtigen Familiengefüge geht. Wie sie geht, wie sie den Kopf zur Seite legt: In Ausdruck und Gestus kommt sie der echten Prinzessin verblüffend nahe. Larraín und Drehbuchautor Steven Knight verdichten die schwelenden Konflikte auf ein dramatisches Weihnachtsfest 1991, an dessen Ende das Scheitern der Ehe mit Prince Charles steht. Auch Dianas Söhne merken, dass etwas nicht stimmt – und William bittet sie, sich doch zusammenzureißen. Der Riss unter dem Druck, nach außen ein heiles Bild abgeben zu müssen, zieht sich bis in intimste Familienbande.
Wie stets bei solchen Filmen ist auch hier Vorsicht geboten, denn bei aller Genauigkeit in der Ausstattung von Kulissen und Schauspielern ist dies nur eine auf Indizien, Vermutungen, Einzelaussagen und Spekulation beruhende Version dessen, was sich tatsächlich abgespielt hat. Wir erfahren nur, was sich ereignet haben könnte, also eine Geschichte, die inspiriert ist von wahren Begebenheiten. Aber nicht die Wahrheit: „Es ist eine Fabel aus einer wahren Tragödie“, heißt es schon zu Beginn. Das Ausleuchten einer seelischen Ausnahmesituation ist Gegenstand dieses Films, nicht die Historie.
Die tragische Heldin wirkt wie verloren
Interessant ist Larraíns emotionsloser Blick von außen auf die Riten und Zeremonien der Hofgesellschaft, weshalb der Film weniger wie eine Karikatur erscheint, als es manche erwartet hätten. Der Schönheit seiner Bilder wohnt allerdings immer etwas Beunruhigendes inne. In den weiten Totalen wirkt die tragische Heldin dieses Films meist wie verloren; geht die Kamera extrem nah an ihr Gesicht in Schräglage, die vom typisch rehäugigen Blick zur Seite komplettiert wird, scheint es, als komme ihr die eigene Existenz wie schierer Übermut vor.
Larraín arbeitet auch präzise die Sachzwänge heraus, die auf allen Beteiligten im Königshaus lasten, behält aber die Sympathien bei Diana. Und kann doch nicht verhindern, dass die Häme der streckenweise bösartig gezeichneten Royals ihr gegenüber durchaus erklärlich wirkt. Dieser Zwiespalt erhöht die Delikatesse dieses Films beträchtlich.
Das lässt hoffen, dass Pablo Larraín intelligent genug ist, keine Passion der Meghan Markle anzustreben.