Gelsenkirchen. . Das Gelsenkirchener Musiktheater begeistert mit den „Gesprächen der Karmelitinnen“ – eine historisierende Inszenierung, sehens- wie hörenswert.
Schrill durchschneidet das Geräusch des Fallbeils den hymnischen Gesang der Nonnen. Mit jedem Schlag der Guillotine löschen die Ordensfrauen nacheinander die flackernden Kerzen in ihren Händen aus. 16 Lebenslichter, die verglimmen. Regisseur Ben Baur fand für die magische Schlussszene der tragischen Oper „Dialogues des Carmélites“ von Francis Poulenc ein starkes, stimmig zurückhaltendes, anrührendes Bild. Seine reduzierte Sicht auf die Geschichte der in den Wirren der Französischen Revolution hingerichteten Karmelitinnen feierte das Premierenpublikum am Musiktheater im Revier mit einhelligem, langem Beifall.
Aufs Wesentliche fokussiert
Der Jubel galt einem souverän aufs Wesentliche fokussierten, narrativen, auch historisierenden Blick auf das 1957 uraufgeführte Werk, das auf eine wahre Geschichte zurückgreift. Der Beifall aber galt auch einem ausgezeichneten Gesangsensemble, in jeder Rolle nahezu perfekt besetzt, und einer Neuen Philharmonie Westfalen, die unter Generalmusikdirektor Rasmus Baumann die mal grell dissonante, mal melodisch zarte Partitur schwelgerisch zum Glühen und Blühen brachte. Wer sich in diesen Klangkosmos eingehört hat, kann sich seinem Sog kaum mehr entziehen.
„Die Gespräche der Karmelitinnen“, die in Gelsenkirchen im französischen Original (mit deutscher Übertitelung) gesungen werden, erinnern an die Hinrichtung von 16 Ordensfrauen im Jahr 1794 durch ein Revolutionstribunal. Im Zentrum der Oper steht die erfundene junge Adlige Blanche, die, von tiefer Lebensangst getrieben, ins Kloster und in den Glauben flieht. Aber auch dort trifft sie auf Angst, wenn etwa die sterbende Priorin (darstellerisch und gesanglich überragend Noriko Ogawa-Yatake) in der Stunde ihres Todes mit Gott hadert. Bele Kumberger als Blanche verkörpert mit einem auch in den hohen Registern klaren Sopran den Weg von einer schwachen Figur zur Ordensfrau, die nicht mehr flieht, sondern zu ihrem Glauben, ihrer Gemeinschaft steht. Mit warmem, variablem Mezzosopran überzeugt Almuth Herbst als Mére Marie, Petra Schmidt gibt die starke, neue Priorin, Dongming Lee eine lebensfroh-ergebene Constance. Glänzend besetzt auch die kleinen männlichen Rollen, Ibrahim Yesilay mit wohlklingendem Tenor als Blanches Bruder und Piotr Prochera als Vater.
Ben Baur führt nicht nur Regie, sondern zeichnet auch für die karge Einheitsbühne verantwortlich. Den ersten Teil, ein intimes Kammerspiel, lässt er in einem hohen, engen Raum spielen, Bibliothek und Kloster gleichermaßen, mit entrümpelten Regalen und schiefen Brettern. Die Welt ist längst aus den Fugen geraten. Videoprojektionen (Kevin Graber) riesiger Schattenbilder visualisieren Alpträume und Schreckensvisionen.
Ob bei den Kostümen (Uta Meenen) oder der Bühne, die sich erst im zweiten, dramatischen Teil öffnet, verzahnt und verschiebt – Baur bleibt in der Zeit, verzichtet auf aktuelle Bezüge. Sichtlich blitzt das Grauen nur einmal mit dem bluttriefenden Henker auf. Am Ende entzieht sich die Regie der Kommentierung des Märtyrertodes. Hinter den „Salve Regina“ singenden, sterbenden Nonnen prangt allein das historische Datum 17.7.1794.
Eine unbedingt empfehlenswerte Produktion!