Essen. Er hat das Revier als Stadtschreiber kennengelernt. Jetzt ist Ralph Hammerthalers Roman „Die fünfte Nacht“ erschienen – Porträt einer Region.
Paul ist Straßenbahnfahrer von Berufung, seit Jahrzehnten kurvt er durch Duisburg: „Dass ich auf Schienen fuhr, empfand ich umso tröstlicher, je turbulenter es in meinem Leben zuging.“ Seine Geliebte Séverine ist so alt wie seine jüngere Tochter; seit auch seine Ehefrau von Séverine weiß, lebt Paul in einem Zimmer über der Kneipe „Solidarnosc“ in Oberhausen. Die ist für Ortskundige leicht als das „Gdanska“ zu erkennen, ebenso wie das freundliche Wirtspaar zu erkennen ist und die gesamte Marktstraße samt des Miederwarenladens der altersweisen Klara.
Autor Ralph Hammerthaler hat in seinem Roman „Die fünfte Nacht“ reichlich erlebtes Lokalkolorit einfließen lassen: Als „Marktstraßenschreiber“ war er 2017 in Oberhausen zu Gast, ein Jahr später nochmals zu Recherchezwecken im Revier unterwegs, sein Zimmer über dem „Gdanska“ wurde finanziert vom Literaturbüro Ruhr und dem Literaturhaus Oberhausen. Der 56-jährige Wahlberliner hat Soziologie studiert und die teilnehmende Beobachtung bereits mit zahlreichen Residenzstipendien seiner literarischen Karriere geübt, viele seiner Romane erzählen davon.
Ralph Hammerthalers Roman „Die fünfte Nacht“ spielt im Ruhrgebiet
Selbst das Straßenbahnfahren hat er am eigenen Leib erlebt im Ruhrgebiet, kann nun kundig mit Fachbegriffen wie Sollwertgeber und Kursblatt punkten oder mit dem Wissen, dass am Zoo Duisburg früh morgens „die Nutten“ einsteigen oder dass Oberhausen „als erste Stadt in Deutschland die Elektrische in eigener Verantwortung betrieben hatte“, 1897 war das.
Als Pauls Leben aus dem Gleis gerät, suchen ihn Visionen heim: Dass da Löcher sich auftun könnten im Boden, Tagebrüche in Duisburg; hier spielt Hammerthaler mit der Wirklichkeit: „Die Realität des Reviers bestand darin, dass es versank.“ Und auch das Brüderpaar Yann und Wolle in seinem Roman scheint nahezu mystisch – der eine bei der Antifa, der andere ein rechter Schläger. Ein Riss geht nicht nur durch ihre Familie, er geht gleich durch die ganze Stadt. Eine Amokfahrt reißt eine dunkelhäutige Familie mit, eine junge Frau mit Kopftuch und die Besucher einer Shisha-Bar; aber auch der Amokfahrer selbst wird seine Tat nicht überleben. Am Ende haben zu viele Menschen Blut an den Händen und es bedarf der weisen Klara, zu der das Leben auch nicht immer gut war, um die feindlichen Lager zu versöhnen in der titelgebenden „fünften Nacht“.
„Die fünfte Nacht“ ist Reportage und Märchen zugleich
Dieser Part nun ist tatsächlich märchenhaft, ein klarer Gegensatz zu den vielen reportagehaften Passagen dieses Ruhrgebiets-Romans. Dass am Ende kein Gesamtbild entsteht, kein in sich schlüssiges, harmonisches Werk – das passt dann wieder als Porträt einer Region, die so vielfältig, so gegensätzlich ist und darin so einzigartig.
Ralph Hammerthaler: Die fünfte Nacht. Quintus Verlag, 304 S., 24 €