Essen. Mehr Roadmovie als Krimi: In seinem neuen Buch „Nomade“ schickt der Autor Jörg Juretzka seinen Allzweckhelden Kristof Kryszinski in die Wüste.
Der Ruhrmensch (m/w) als solcher gilt ja als heimatverbunden. Aber es zieht ihn doch auch in die Ferne. Das gilt ebenso für den Literaturbetrieb: Elke Heidenreich hat es von Rüttenscheid bis ins Kölner Funkhaus geschafft, Ralf Rothmann zog nach Berlin wie manch andere. Jörg Juretzka, gelernter Zimmermann aus Mülheim, hat sogar in Kanada Blockhäuser gebaut und seinen Allzweckhelden Kristof Kryszinski – für Freunde: „Krüschel“ – früh in riskante Auslandseinsätze entsandt. Wir erinnern uns an seine Mofa-Tour nach Andalusien samt froher, wahrheitswidriger Botschaft „Alles total groovy hier!“
Das ist schon zwölf Jahre her, inzwischen hat K. mehrere vierrädrige Untersätze in diversen Ländern „geschrottet“. Deshalb hat ihm sein Erfinder den „Truck“ spendiert, einen alten Militär-Lkw, mangelhaft gefedert, aber innen ausgebaut wie eine Raumstation und für schweres Gelände geeignet. Aber muss es ausgerechnet die südliche Sahara sein?„Muss wohl“, meint Krüschel, ist eben seine ganz eigene Therapie, auf der Suche nach Vermissten „ein paar tiefer sitzende Traumata“ zu verarbeiten, eben hier im „höllischen“ Wüstendreieck zwischen Algerien, Niger und Mali.
Kryszinski in der Wüste: halb Bergretter, halb Kopfgeldjäger
Da kreuzt er also, halb Bergretter und halb Kopfgeldjäger, mit seiner vierpfotigen Lebensgefährtin Bella von Leichen zu Leichen (verirrt, verschüttet, verhungert, oder ausgeraubt, geköpft, verbrannt), meldet die Fundorte, muss sich gegen freiberufliche Killer wie den alten Afghanen und seine britischen Azubis oder die gierigen staatlichen Ordnungshüter wehren. Gerettet hat er am Schluss ein davongelaufenes Luxusgirl aus Somalia samt Neugeborenem, einen schwerbehinderten alten Rastafari und tüchtigen Scharfschützen sowie eine große vollverschleierte Frau, auch sie mit einem Baby unter der Burka.
Ein Schrottdampfer bringt am Ende die ganze bunte Crew mit Müh und Not an die portugiesische Küste, der Grenzschutz kassiert unter der Hand die letzten falschen Fünfhunderter aus Krüschels Notvorrat – und irgendwann läuft der Truck sogar trotz gebrochener Achse in Mülheim ein. Doch die alten Zeiten sind vorbei, die Kumpels von einst arg verspießert. Aus der Burka indes schält sich eine wohlgestaltete, emanzipierte und lebenskluge schwarze Frau und Mutter, vorher christliche Lehrerin in Somalia: wie geschaffen für den Schuldienst in Nordrhein-Westfalen! Krüschel vermietet ihr seine Garage und überlässt ihr das Konto. Doch bald nagt wieder das Fernweh an ihm. Das allerletzte Bild: K. und Bella im Truck. Rechts das Meer, linker Hand die Dünen: Nordwijk? Portugal? Oder doch wieder Mauretanien? Erlaubt ist bekanntlich, was gefällt.
Kryszinski-Romane haben sich immer mehr vom Krimi entfernt
Uns haben die frühen Romane von Juretzka mit ihrer einmaligen Kombination von regionalem Realismus und frechem Sprachwitz allerdings deutlich besser gefallen. Davon ist hier nicht mehr viel zu spüren, die Sahara ist nicht spaßig. Überhaupt haben sich die Kryszinski-Romane immer mehr vom Krimi entfernt und zu halbexotischen, „trashigen“ Abenteuergeschichten, oder eben zu „Roadmovies“ entwickelt. Da rufen wir unserem alten Helden dann doch durchs Meeresrauschen zu: „Krüschel, komm heim! Mülheim wartet auf Dich!“
Jörg Juretzka: Nomade. Ein Roadmovie. Rotbuch Verlag, 236 S. 19,90 €