Mülheim/R. . Der Mülheimer Autor Jörg Juretzka schickt seinen kultigen Ermittler Kryszinski auf „TauchStation“ – und steht jetzt an der Staffelei. Oder auf der Baustelle

Es hätte alles so schön sein können. Kristof Kryszinski hätte hinter dem Tresen seiner Eppinghofer „TaxiBar“ stehen können und hätte all’ die kriminell kaputten Typen einfach so an sich vorbeirauschen lassen können. Ein Drogenpaket und drei tote Roma-Mädchen später aber hastet er schon wieder durch diesen typischen Kryszinski-Irrsinn, in dem jeder irgendwie jeden jagt, rettet sich als lettischer Tagelöhner in einen portugiesischen „TrailerPark“, muss dort unbedingt den Helden markieren und afrikanischen Flüchtlingen beispringen – und wohnt nun, im dritten Teil der Trilogie, undercover in einer Bottroper Garage: „Tisch, Bett, Sofa, Herd, Spüle, Kühlschrank, Hebebühne, Werkbank, Stahlspind, 77er Toyota Carina, alles untergebracht in den blassgrün gekachelten vier Wänden der Werkstatt.“

Kurz: „TauchStation“ ist angesagt, inklusive neuer Identität, neuem Job als „Operativer Mitarbeiter“ bei Europol. Wie lange wird das wohl gut gehen? Genau.

Es könnte alles so schön sein. Jörg Juretzka sitzt bei einem Kaffee in einem netten Café in Mülheims Fußgängerzone, Sonnenbrillen und Frühlingsgesichter ziehen vorbei. Dies ist das eine Ruhrgebiet, kleinstädtisch, auf beflissene Weise gediegen. Kryszinskis Welt aber sind die maroden Hinterhöfe, die dunklen Winkel des Reviers: „Alles in meiner Nachbarschaft ist in letzter Zeit irgendwie ehemalig geworden“, heißt es in „TauchStation“: In der Tankstelle handelt jetzt ein Libanese mit Autos und sonst was, die Grundschule ist Flüchtlingsunterkunft, die Stadtbücherei Moschee, nur den „Kleingartenverein Concordia 1914“, den gibt es noch. Immerhin.

Doch, das Ruhrgebiet gefällt ihm gut, sagt Juretzka, der 1955 in Mülheim geboren wurde. Gerade seine Heimatstadt habe sich sehr zum Positiven verändert. „Aber ich schreibe halt Krimis, da braucht es eine gewisse Düsternis.“ Wilde 13 Kryszinski-Romane hat Juretzka inzwischen verfasst, einer immer ein wenig dunkler als der nächste, der typische Humor noch ein wenig schwärzer. Ist denn die Welt so viel schlechter geworden in diesen Jahren? „Die Probleme wirken auf jeden Fall größer, doch.“ Wie es wohl ist, tagelang in einem Schlauchboot auf dem Mittelmeer unterwegs zu sein oder was ein Junge denkt, der von den Schulkollegen gemobbt wird und von radikalen Salafisten umworben? Juretzka erzählt es, beinahe beiläufig, keine große Sache, ist eben alles Teil der Welt. Und wenn nun Europol eine junge Ärztin beschützen soll, die im Kongo einen Pygmäenstamm untersuchen wollte, nur treiben plötzlich Söldner diesen Stamm auf Nimmerwiedersehen in den Dschungel? Dann geht es um Großkonzerne, um Bodenschätze und Quecksilbervergiftungen, die kein Zufall sein können.

Vielleicht aber ist diese tollkühn überdrehte Weltenspiegelei Juretzka nun selbst ein wenig zu viel, vielleicht sind aller guten Dinge tatsächlich dreizehn. „Zum ersten Mal seit 20 Jahren schreibe ich gerade nicht an einem Buch“, gesteht er: „Solange nichts geschrieben werden will, schreibe ich eben nichts“ – noch düsterer soll die Reihe nicht werden, „entweder kommt jetzt eine ganz neue Richtung oder ich schreibe in Retro, gehe zurück in die Vergangenheit Kryszinskis.“

Und, Entschuldigung – wovon lebt er denn dann? Gibt es Vorschüsse, Stipendien? Ein erstaunter Blick, so ein ruhrgebietstypischer „Wo-lebt-die-denn?“-Blick: Denn natürlich arbeitet Juretzka, Schriftsteller hin oder her, seit Jahren auf dem Bau. „Klar, wenn ich im Schneeregen auf dem Gerüst stehe, ist mir schon manchmal danach zu rufen: ,He, aber ich bin doch Literaturpreisträger!’ Aber meistens gefällt mir das sehr gut: die Leute, der Ton, die Atmosphäre. Das gehört genauso zu mir wie das Schreiben.“

So ganz ohne Kreativität aber geht es auch nicht: Gerade arbeitet Juretzka mit Kamera und Staffelei. „Ich versuche mich am Fotorealismus, bin aber mit den Ergebnissen noch nicht zufrieden“. Jedenfalls nicht so, dass er etwas zeigen wollte: „Das ist ja im Ruhrgebiet anders als etwa in Berlin: Den Leuten hier machst du nichts vor. Wenn du dein Handwerk nicht beherrschst, kannst du das nicht einfach als Kunst verkaufen.“

Leicht ist das nicht. Aber, um es mit Kryszinski zu sagen: „Wer will es schon leicht?“

Jörg Juretzkas erster Kryszinski-Krimi „Prickel“ erschien 1998, seither wurden mehrere Werke ausgezeichnet. 2006 erhielt er den Literaturpreis Ruhr.

„TauchStation“ ist im Rotbuch-Verlag erschienen, hat 272 Seiten und kostet 18,95 €.