Bremen/Bielefeld. Künftig drei Frauen in den höchsten Ämtern der Evangelischen Kirche. Annette Kurschus nimmt klare Stellung zu Klimawandel, AfD und Migration.
Als die Siegerländerin Annette Kurschus vor genau zehn Jahren mit überwältigender Mehrheit zur Präses der westfälischen Landeskirche gewählt wurde, da kommentierte dies der damalige Arnsberger Superintendent Alfred Hammer mit den Worten „Sie ist die richtige Frau zur richtigen Zeit für uns.“ Und die derart Gelobte bewies schon 2011 eine gewisse instinktive Weitsicht, indem sie im Gespräch mit unserer Zeitung selbstbewusst formulierte: „Ich möchte dazu beitragen, dass das Westfälische auch auf der Bundesebene der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) attraktiv bleibt.“
Dies ist der Präses offenbar derart gut gelungen, dass sie nun sehr deutlich auch noch zur EKD-Ratsvorsitzenden und damit zur obersten EKD-Theologin in Deutschland aufgestiegen ist: Mit 126 Stimmen (vier Nein, zehn Enthaltungen) wurde sie von der in Bremen tagenden EKD-Synode gewählt.
Neue Ratsvorsitzende ist pragmatisch und klarsichtig
Für Beobachter hatte sich diese Entscheidung bereits seit Längerem abgezeichnet, gilt Annette Kurschus doch als ausgesprochen pragmatisch, klarsichtig und zugleich verbindlich-diplomatisch. Die 58-Jährige, die den Ratsvorsitz von dem bayerischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm (61) übernimmt, der nicht mehr kandidiert hat, ist nach Margot Käßmann (2009-2010) die zweite Frau in dieser Leitungsfunktion. Zu ihrer Stellvertreterin wurde die 60-jährige Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs gewählt, ebenfalls mit großer Mehrheit.
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In einer ersten Stellungnahme zeigte sich Kurschus, die nach dem Theologie-Studium ihr Vikariat in Siegen-Eiserfeld absolvierte und 2005 Superintendentin des Kirchenkreises Siegen wurde, bereits wieder gewohnt programmatisch: Sie wolle dem Thema Missbrauch innerhalb der evangelischen Kirche auf EKD-Ebene besondere Aufmerksamkeit widmen, betonte sie. Hinsichtlich der jüngsten Kritik in der Öffentlichkeit zur Missbrauchsaufarbeitunginnerhalb der Kirche sprach die neue Ratsvorsitzende von „starken und schmerzlichen Momenten“, beurteilte diese aber zugleich auch als „bitter notwendig“. Ebenso benannte sie den Klimawandel als herausragendes Thema und bekannte auch, dass sich viele Menschen enttäuscht von der Kirche abgewendet hätten. Diese Enttäuschung spiegele aber zugleich ein nach wie vor vorhandenes „großes Maß an Erwartungen“ an die Kirche, denen man zukünftig noch gerechter werden müsse.
„Alten müssen von den Jungen lernen“
Bereits bei ihrer Präses-Wiederwahl vor zwei Jahren hatte Annette Kurschus deutliche Sympathie für die Ungeduld vor allem junger Menschen im Hinblick auf die Klimaproblematik geäußert: „Die Jugendlichen der Friday-for-Future-Bewegung führen uns eindrücklich vor Augen, wie die Alten von den Jungen lernen müssen. Die Jungen haben jedenfalls die Klimafrage mit dem nötigen Nachdruck ins öffentliche Bewusstsein gerufen“, so die Theologin schon im November 2019.
Ihr Verständnis für die jugendliche (Klima)-Ungeduld korrespondiert auf der anderen Seite sehr entschieden mit der Ablehnung von AfD-besetzten Haltungen: „Für Geistliche mit AfD-Positionen sehe ich in meiner westfälischen Landeskirche keinen Platz“, erklärte Annette Kurschus unmissverständlich. Damit unterstreicht die leitende Theologin auch noch einmal zum Beispiel ihre positive Migrationspolitik, die sie in den vergangenen Jahren als westfälische Präses und bereits Mitglied des EKD-Rates immer wieder deutlich herausgehoben und damit zudem eindeutig an der Seite ihres Vorgängers Bedford-Strohm Position bezogen hat.
Dass künftig mit Annette Kurschus als Ratsvorsitzende, Kerstin Fehrs als ihre Vertreterin und Anna-Nicole Heinrich (25) als schon im Mai gewählte Präses der EKD-Synode nunmehr drei Frauen die höchsten Protestanten-Ämter in Deutschland innehaben, kann und muss durchaus als ein Zeichen der evangelischen Kirche auch nach außen gewertet werden. „Wir müssen Unrecht benennen, auch das eigene Unrecht, wir müssen Schuld eingestehen, um Vergebung bitten und neue Wege einschlagen“, forderte Kurschus von den Mitgliedern der EKD-Synode. Und abermals energisch fügte sie hinzu: „Das muss man von uns erwarten können.“
Unverhandelbare Optionen
Als einen „klaren protestantischen Akzent“ innerhalb der Gesellschaft nannte Annette Kurschus auch noch „die unverhandelbare Option für die Schwachen“. Hier schlug sie damit die Brücke zur Ökumene und insbesondere zu Papst Franziskus, mit dem sie sich in der Vergangenheit bereits mehrfach bei persönlichen Treffen ausgetauscht hat. Wobei sie bei aller Offenheit gegenüber der anderen Konfession stets auch die Unterschiede zu benennen wusste und niemals die eigene evangelische Überzeugung zur Disposition stellte.
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Mit der ledigen und kinderlosen Annette Kurschus bekommt die Evangelische Kirche in Deutschland eine frische und authentische Führungsstimme: „Kirche soll den Menschen Hoffnung geben. Wir haben damit einen großen und kostbaren Auftrag in der Welt. Als Kirche können wir einen Ton in das Leben eintragen, den sonst niemand einträgt“, lautet ihr Credo.
Als anerkannt gute Predigerin wird die neue EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus die richtigen Worte finden, um dem christlichen Prinzip Hoffnung entsprechende Glaubwürdigkeit zu verleihen.