Bochum. Es geht um Tod oder Leben – aber mit Witz: Bochums Museum unter Tage zeigt eine Retrospektive auf die Multi-Media-Künstlerin Ingeborg Lüscher.

Mit 30 Jahren, da war sie schon eine etablierte Theater- und Filmschauspielerin, begann Ingeborg Lüscher bei einem Dreh in Prag zu malen. Sie hatte „Sehnsucht, etwas zu tun, für das ich verantwortlich sei, möglichst ganz“. Diese Sehnsucht hat sie sich und dem Kunst-Publikum in den 55 Jahren danach auf eine Art erfüllt, die ihresgleichen sucht: Für jede ihrer künstlerischen Wirklichkeitserforschungen findet Ingeborg Lüscher eine eigene Ausdrucksform. Wie ein Schmetterling wechselt sie von Malerei zu Installation, vom Video zur Skulptur, von der Aktionskunst zur Fotografie – nichts Künstlerisches ist ihr fremd.

Und weil auch der Gegenstand ihrer Kunst zwischen Grundfragen des Lebens ständig wechselt, weil es mal um Frieden in Palästina, mal um Müll und die Welt darum geht, mal um Gleichberechtigung oder um Wissenschaftskritik, deshalb vielleicht ist ihr Name kein Markenzeichen geworden wie bei anderen, deren künstlerisches Können mit weit schmaleren Spuren auskam.

Ingeborg Lüschers großzügige Nachlass-Schenkung an die „Situation Kunst“

Nun aber wird im Bochumer Museum unter Tage mit der Retrospektive „Spuren vom Dasein“ die künstlerische Spannweite Ingeborg Lüschers sichtbar: Markante Werke ihres Schaffens seit 1968 sind hier zu einem Parcours des Staunens kombiniert. Und das nicht von ungefähr: Ingeborg Lüscher hat der „Situation Kunst (für Max Imdahl)“ große Teile ihres künstlerischen Nachlasses geschenkt. Mit der „Situation Kunst“ lernen Studierende der Kunstgeschichte an der Ruhr-Universität den Ausstellungsbetrieb von seiner praktischen Seite kennen und sind von der Hängung bis zur Pressemitteilung an den Ausstellungen beteiligt. Auf diese Weise wird auch Ingeborg Lüschers Werk noch eine ganze Weile jung bleiben.

Dabei ist es ohnehin kaum veraltet. Sicher, ihre Zigarettenstummel-Bilder und -Objekte, die in den 70ern vielleicht eher als Arte-Povera-Variation entstanden, sieht man heute anders – aber die Geschichten, die sie im Rahmen von geretteten Altbau-Fenster von Leben und Tod, von Eros und Sucht in der Massengesellschaft erzählen, sie sind nach wie vor zu hören, zu sehen.

Flusen aus dem Wäschetrockner

Auch die Flusen aus dem Wäschetrockner, die auf dem Museumsboden wieder zu krümeligen Silhouetten von Jeans, Pullovern, Slips, BHs und Socken zusammengesetzt werden, gehören zu den Materialien, deren Kunsttauglichkeit allein das Werk Ingeborg Lüschers sind.

Konzeptkunst, das war für sie ein Mittel, sich von Schatten ihrer ersten Ehe mit einem renommierten Farbpsychologen zu befreien: „Das Herz auf dem Weg zur Werdung“ versammelt Aberdutzende von mehr oder minder herzförmigen Steinen in Schaukästen, an denen Blätter mit pseudowissenschaftlichen Texten über Herzen und Steine hängen. Ja, auch Humor gehört integral zum Werk Ingeborg Lüschers, „Die Hängenden Gärten der Semiramis II“ sind eine wandhohe, wellenförmige Kaskade aus gehäkelten Kunststoffstreifen in einem leuchtenden Gelb, das zwischen fröhlichem Zukunftsoptimismus und vergifteter Idylle schwankt.

Das Gelb ist der Faden, der sich durchs Werk zieht

Am ehesten ist das Gelb der Faden, der sich durch Lüschers Oeuvre zieht – lange schon ist sie vom Grundstoff Schwefel fasziniert, von seinem ins Grünliche kippenden Farbton. Den kombiniert sie hier mit neun Busreifen zu einem Mobile des Scheiterns, dort verarbeitet sie ihn als Werkstoff zu Skulpturen, die 1992 auch auf der Documenta zu Gast waren.

Ob sie aus Fotografien vom Wellenschaum auf Strandsand Gebirgspanoramen entstehen lässt, ob sie in einer Serie von fotografischen Augen-Aufnahmen die Vielfalt der Welt feiert und zugleich der Wahrnehmung einen skeptischen Dämpfer verpasst – die Auseinandersetzung mit ihren Werken ist immer ergiebig. So wird es auch mit ihrem „Bernsteinzimmer“ aus 9000 Seifenstücken sein, das ab Dezember dann im Kunstmuseum Bochum zu sehen sein soll.

Ingeborg Lüscher: Spuren vom Dasein – Werke seit 1968. Museum unter Tage, Nevelstraße 29 D. Bis 18. April. Geöffnet: Mi-Fr 14-18 Uhr, Sa/So 12-18 Uhr.