Mülheim/R. Philipp Preuss reiht in seiner Bühnencollage „Europa oder die Träume des Dritten Reichs“ Bilder des Unbewussten zu einem Bogen ohne Spannung.
Blut tröpfelt Gabriella Weber auf den Kopf, während sie im höfischen Festkleid zum zweiten Mal beschreibt, wie bestialisch die mittelalterliche Pest wütetet – und wie bestialisch der Umgang der Menschen damit war. Aber es ist nicht das erste Mal, dass an diesem Abend jemandem Blut auf den Kopf tropft. Zuvor traf es Felix Römer als Max Hartmann, der sich für seine Entnazifizierung schämt, weil sie mit einem erpressten Juden erschwindelt wurde, und sich umbringt.
Das sind die Kennzeichen von Philipp Preuss’ Destillations-Versuch, zwei Filme von Lars von Trier („Europa“ und „Epidemic“) und die verräterischen, gespenstischen Träumen aus dem Nazi-Reich, welche die Publizistin Charlotte Beradt zwischen 1933 und 1939 gesammelt hat, in einem Bühnenstück zu vereinen, das am Samstagabend uraufgeführt wurde: Da verschwimmen geschichtliche Verhältnisse zu einem einzigen Kontinuum des Unheils. das mit Film- und Psychoanalyse-Fetzen tapeziert wird; und nicht nur die Regie-Einfälle in „Europa oder die Träume des Dritten Reichs“ wiederholen sich, und einer von ihnen besteht darin, einzelne Sätze immer wieder zu wiederholen.
Rupert Seidl spielt Udo Kier und Fabio Menéndez einen gewissen Lars
Dabei ahnt man – in Zeiten von Corona – schon früh den Zusammenhang. Lars von Triers „Europa“ spielt im Nachkriegsdeutschland, in dem notorische Nazis als „Werwölfe“ nach wie vor tödliche Anschläge
organisieren; der arglos-naive Schlafwagenschaffner Leo Mesmer (treffsicher: Albert Bork) gerät zwischen die Machenschaften alter Nazis und amerikanischer Geheimdienstleute; von Triers „Epidemic“ hingegen handelt von der Entstehung eines Films über eine Epidemie, die ausgerechnet von demjenigen Arzt verbreitet wird, der als einziger versucht, sie wirksam zu bekämpfen.
Dass alles mit allem zusammenhängt, die Exzesse des Finanzkapitalismus mit dem Erstarken des Rechtspopulismus und der Ausbreitung von Covid-19, dass der pandemische Schrecken die Gespenster des Faschismus an die Ober- und Bildflächen treibt, dass die globale Verunsicherung die Ideologiegläubigkeit beflügelt und Krisenzeiten das Unbewusste ans Tageslicht bringen – die Inszenierung „Europa oder die Träume des Dritten Reichs“ findet viele Bilder dafür. Der Tunnel aus sieben gestaffelten Licht-Toren, den Ramallah Aubrecht als zentrales Bühnen-Element geschaffen hat, sorgt für die stärksten unter ihnen, die Projektion von Rupert J. Seidl als Udo Kier auf die Bühnenakteure ist ein weiteres. Aber auch sie sind, bis auf das Schlussbild, in dem das Ensemble in endlosen Gängen durchs Parkett Trauerkerzen und -gestecke auf die Bühne schaffen, nicht unbedingt zwingend.
Petra von der Beeks Erzählstimme
Immerhin sind die Einzelteile der Collage an den Übergängen mit der Erzählstimme Petra von der Beeks geschmeidig zusammengefügt. Dass im einzelnen gut choreografierten Bilder des öfteren aber beliebig gesetzt wirken, lässt den Zwei-Stunden-Abend noch länger wirken als seine durchaus kunstvoll gewundenen Wiederholungsschleifen.
Weitere Termine: nur noch am 1., 11., 12., 26., 27. und 28. November; Karten: Tel. 0208 / 960 960 oder www.theater-an-der-ruhr.de