Essen. Premiere in Essen: Wie sich Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer mit Brechts „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“ das Thema Populismus vorknöpft.
Mit Brecht hatte Hermann Schmidt-Rahmer bisher nichts am Hut. Als der Regisseur und Stückebearbeiter („Wir sind die Guten“) entdeckte, dass dessen Greuelmärchen „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe oder Reich und reich gesellt sich gern“ das angesagteste Stück zum Thema Populismus ist, war seine Begeisterung geweckt. Und sie hielt anderthalb Jahre nach dem Abbruch der Proben durch den Corona-Lockdown an. Jetzt eröffnet seine Inszenierung die Schauspielsaison im Grillo-Theater.
Ursprünglich wollte Bertolt Brecht eine neue Version von Shakespeares „Maß für Maß“ für die Berliner Volksbühne erarbeiten. Doch mit dem Fall der Weimarer Republik und dem Aufstieg des Hitlerregimes rückte er von dem Vorhaben ab und es entstand in mehreren Fassungen ein bissiges wie unterhaltsames Lehrstück über die Machtmechanismen von Diktaturen. Die Uraufführung erlebte er 1936 nach der Flucht aus Deutschland im dänischen Exil.
„Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“ nimmt mit einem bankrotten Staat und ratlosen Regierenden seinen Lauf, die einen Aufstand von Pächterinnen und Pächtern gegen die Besitzenden verhindern wollen. Ein Politstratege wird installiert, der das Volk in Rund- und Spitzköpfe spaltet und letztere als Sündenböcke für die Krise deklariert. Der Klassenkampf wird zum Rassenkampf. „Eigentlich, das ist der Kniff des Stücks, geht es um arm und reich“, so Hermann Schmidt-Rahmer.
Inszenierung mit Parteiprogrammen und Literatur vorbereitet
Der gesellschaftskritische Regisseur interpretiert das Stück in Bezug auf Parteien und Staatsführer, die unter anderem mit Fremdenfeindlichkeit knallharten wirtschaftlichen Interessen zum Sieg verhelfen. Er hat dabei Diktatoren wie Viktor Orbán, Recep Tayyip Erdogan, Jair Bolsonaro im Sinn, zudem Ex-Präsident Donald Trump oder, um in Deutschland zu bleiben, die AfD, die von ihren wahren Zielen ablenken. „Fremdenfeindlichkeit wird als Vehikel für Popularisierung genutzt“, sagt der 61-Jährige.
Zur Vorbereitung seiner Inszenierung hat er Parteiprogramme gelesen und Literatur verschlungen. Zum Beispiel zur Situation in den USA. „Das hat man bei Trump gesehen und der Abschaffung des Umweltschutzes. Solange er Nebelkerzen zündete, konnte er seine Anliegen durchsetzen“, meint Schmidt-Rahmer. Bei der AfD registriert er ebenfalls Ablenkungsmanöver. „Sie wird als völkisch-nationale Partei diskutiert. Im Programm geht es um die Abschaffung der Erbschaftssteuer, die Privatisierung der Unfallversicherung, die Kürzung der Hartz-4-Sätze. Das ist neoliberal“, erklärt er und wirkt ernüchtert über die große Wählerschaft vor allem in Ostdeutschland. „Wenn ich sehe, wie leicht es ist, mit dem rassistischen Ticket Massen zu mobilisieren, weiß ich nicht, ob wir davor geschützt sind.“
Spieler in Ganzkörperhüllen zeigen eine deformierte Gesellschaft
Vor diesem Hintergrund fügte er die vorhandenen Versionen des Stücks zu einer Essener Fassung zusammen, aktualisierte die Stellen, die sich auf die 1920er und 30er Jahren beziehen und verwendet Hanns Eislers Musik. Die Spieler wurden von 30 auf neun reduziert, die mehrere Rollen übernehmen. Sie agieren auf der zeichenhafte Bühne von Daniel Angermayr und zeigen in den Ganzkörperhüllen von Pia Maria Mackert eine deformierte Gesellschaft, die mit magnetisch angebrachten Kostümen an die grotesken Menschenbilder von Francis Bacon erinnern. „Die Kostüme sind spektakulär und ganz entscheidend, damit der Zuschauer durchschaut, wer zu welcher Gruppe gehört. Ohne sie funktioniert das Stück nicht“, betont Hermann Schmidt-Rahmer.
Wie so oft bei der Interpretation und Realisierung von Brechts Werken, können die Erben des Autors für Bearbeitende und Regieführende zum Stolperstein werden. Doch Hermann Schmidt-Rahmer nahm die Hürde unbeschadet: „Ich habe mein Konzept mit ihnen vorab besprochen. Es hat ihnen eingeleuchtet und sie meinten: Mach mal“, erzählt er. Und wer genau hinschaut, kann hier noch ein Stückchen Shakespeare entdecken.