Essen. Auch mit fast 80 schießt David Crosby immer noch scharf gegen andere – und schließt eine Wiedervereinigung von Crosby, Stills, Nash & Young aus.
Er sagt, was er denkt – auch, wenn es anderen wehtut. Mit fast achtzig ist David Crosby weiter auf Konfrontationskurs: Kurz vor seinem 80. Geburtstag am 14. August hat David Crosby, Gründungsmitglied der Byrds und von Crosby, Stills, Nash und (manchmal) Young, sein achtes Solo-Album veröffentlicht. Ein Werk, das an eine Lebensbeichte und einen Abschiedsbrief erinnert, aber auch auf das Polit-Establishment und multinationale Konzerne losgeht. Vielsagender Titel: „For Free“ – „umsonst“. Marcel Anders sprach mit ihm über das Alter, Streaming und die alten Zeiten.
Mr. Crosby, wie geht es Ihnen?
Den Umständen entsprechend: Der Mittel- und Zeigefinger meiner rechten Hand lassen sich nicht mehr aufrichten und biegen. Am schlimmsten ist es mit dem kleinen Finger. Mit der anderen Hand ist es nicht ganz so übel, aber es geht in dieselbe Richtung. Ich kriege nur noch 85 Prozent von dem hin, was ich früher gemacht habe. So ist das halt, wenn man alt wird…
Was Sie nicht daran hindert, ein Solo-Album nach dem anderen zu veröffentlichen: „For Free“ ist bereits das fünfte im siebten Jahr. Torschlusspanik oder kreatives Hoch?
Es ist eine Frage der richtigen Stimulanz.
Wie meinen Sie das?
Ganz einfach: Ich schreibe jeden Abend, wenn ich stoned bin. Greife ich dann zur Gitarre, bin ich wie besessen. Der Klang des Instruments ist so wunderbar und die Akkorde resonieren auf so faszinierende Weise, dass du gar nicht mehr aufhören kannst. Und erst dadurch wirst du gut: Du spielst stundenlang, bis deine Finger schmerzen und du alles um dich herum vergisst. Sprich: Du hast eine tolle Zeit. Und so handhabe ich das immer noch. Einfach, weil es Spaß macht, Songs in merkwürdigen Gitarren-Stimmungen zu schreiben. Insofern: Pot ist sehr inspirierend. Von den anderen Drogen würde ich das nicht behaupten – und sie auch niemandem empfehlen. Aber Pot ist wie Bier und Wein, also keine große Sache. Es geht eher darum, eine Situation zu erschaffen, in der man sich wohl und frei fühlt. Wo man nicht von der Welt abgelenkt wird, sondern einen Tunnelblick entwickelt und das, was man sagen will, auf den Punkt bringt. Ich weiß nicht, ob das für jeden gilt, aber ich schreibe so am besten.
Machen Sie das an Stücken wie „Rodriguez For A Night“ fest, in denen sie auf den Spuren Ihrer erklärten Lieblingsband wandeln – Steely Dan?
(lacht) Das war das Ziel. Ich habe versucht, so Steely Dan zu sein, wie ich nur kann – weil das eine fantastische Band war. „Aja“ und „Gaucho“ zählen zu den besten Alben aller Zeiten – wie „Kind Of Blue“ von Miles und „Heavy Weather“ von Weather Report. Ich denke, ich habe da einen guten Job abgeliefert.
Wobei das Album nach der Coverversion eines Titels von Joni Mitchell benannt ist. Verbirgt sich dahinter noch mehr – etwa eine Kampfansage an die von Ihnen verhassten Streamingdienste?
Ganz genau! Das ist es, worum es geht! Ich habe nie Alben aufgenommen, um damit Geld zu verdienen – sondern, weil sie Spaß machen. Allerdings ist es nicht okay, dass Streamingdienste damit Millionen scheffeln, den Gewinn aber nicht mit den Künstlern teilen. Wenn das jemandem wie mir das Leben schwer macht, ist es für junge Leute, die gerade erst in diesem Geschäft anfangen, geradezu tödlich. Ich halte Spotify für einen Haufen Diebe.
Wie geht es Ihrer Ex-Freundin Joni? Hat Sie sich von Ihrer schweren Erkrankung erholt? Haben Sie noch Kontakt?
Oh ja, haben wir, und es geht ihr nicht wirklich gut. Sie kann kaum laufen und auch keine Musik mehr machen. Was tragisch ist, denn sie war besser als Dylan – sie hat ihn in puncto Musik und Texte locker in die Tasche gesteckt. Wir waren mal eine kurze Zeit zusammen – bis ich sie verlassen habe. Ich denke, in ihrer Welt ist das eine unverzeihliche Sünde. Sie ist eine sehr komplexe Frau, sehr stürmisch und launisch. Sich in sie zu verlieben ist in etwa so, als ob man in einen Zementmixer fällt. Es war turbulent. Aber sie ist auch eine große Künstlerin. Sie mag verrückt sein, aber sie kann schreiben, Mann. Besser als jeder andere…
Hand aufs Herz: Vermissen Sie die 60er und 70er, als Sie mit den Byrds und Crosby, Stills, Nash sowie gelegentlich Young Musikgeschichte geschrieben haben?
Ich verbringe nicht viel Zeit damit, zurückzublicken. Ich sorge mich eher um die nächste Woche, den nächsten Monat, das nächste Jahr. Ich halte es für einen Fehler, in der Zeit zu schwelgen, in der man am erfolgreichsten war. Klar, war das toll - aber: Das Entscheidende an CSNY, CSN und den Byrds waren die Songs, nicht der Ruhm, die Popularität, die ausverkauften Stadien. Es waren die Songs, die Musik, die Kunst. Darauf bin ich stolz. Ich bin froh, dass ich dabei war. Aber: Ich lebe im Hier und Jetzt. Und ich mache gute Alben. Das ist es, woran ich denke - nicht an den ganzen anderen Kram.
Können Sie sich vorstellen, es noch einmal mit CSN oder CSN&Y zu versuchen? Oder sind sie komplett zerstritten?
Wir werden nicht mehr zusammen auftreten. Einfach, weil es nicht mehr geht. Ich kann nicht verraten, wo das Hauptproblem liegt, aber es wird definitiv nicht mehr passieren.
Stehen sie in Konkurrenz zueinander – sehen Sie ihre Flut an Album-Veröffentlichungen als sportiven Wettkampf mit den anderen?
Es ist nicht so, als würden wir uns einen Konkurrenzkampf liefern. Wäre das der Fall, würde ich ja allein deshalb gewinnen, weil die anderen nicht viel auf die Reihe kriegen. Das letzte Album von Graham war enttäuschend. Das von Neil ebenfalls. Und Steven macht keine Musik mehr. Von daher konkurriere ich mit niemandem. Ich habe jetzt fünf in sieben Jahren gemacht – mehr als selbst junge Leute hinbekommen. Und sie sind richtig gut.
Sie werden am 14. August 80. Gedenken Sie das zu feiern?
Nein! 80 ist keine Zahl, die du feierst, Mann. 80 ist eine Zahl wegen der du weinst. Und ich werde mich auf dem Boden wälzen, mit den Füßen stampfen und heulen. Ich werde definitiv keine Party feiern. Einfach, weil 80 eine schlimme Zahl ist. Und mit dem Alter ist es eine komische Sache, Mann. Im Grunde wartest du nur darauf, dass du dir etwas brichst, und das war’s dann mit dir. Insofern bin ich der Meinung, man sollte sich auf die Qualität der Zeit konzentrieren – und nicht auf die Quantität. Das Entscheidende ist, wie man sie verbringt. Und ich versuche, so viel Spaß wie eben möglich zu haben und die beste Musik abzuliefern, das in mir steckt. Denn damit lässt sich vieles verbessern. Musik ist eine positive Kraft.
Demnach haben Sie Ihren Idealismus nicht verloren – und Musik ist nach wie vor ein Mittel, um die Welt zu verändern?
Ganz genau! Auf die Menschheit wirkt Musik wie eine Hubkraft. Während Kriege das Schlechteste in uns hervorbringen, baut uns Musik auf und macht uns besser. Deshalb verbringe ich meine Zeit damit. Ich denke, gute Songs haben einen positiven Effekt.
Gleichzeitig verbringen Sie viel Zeit auf Twitter, wo Sie sich heftige Wortgefechte mit Menschen liefern, die anderer Meinung sind als Sie. Ein Mittel zum Dampf ablassen?
Was ich an Twitter mag, ist die Tatsache, dass ich Leute da einfach wegdrücken kann. Ich muss mich nicht auf große Diskussionen einlassen. Fangen sie an, mich als Idiot, verfluchter Liberaler oder was auch immer zu beschimpfen, drücke ich auf „löschen“ – und fertig.