Essen. Mit dem Action-Spektakel „Black Widow“ leitet Marvel eine neue Phase seines Bewegtbild-Universums ein – und setzt vor allem auf: Unterhaltung.

Zwei Mädchen spielen im Wiesengarten. Die Mutter ruft beide zum Abendbrot hinein. Dann kommt der Vater nach Hause und verkündet Schicksalhaftes: „Der Tag des großen Abenteuers ist heute. Jetzt. Macht euch bereit!“ Schon sitzen alle im Auto, keine Sekunde zu früh, denn Polizei rückt an. Wenig später auf einer Waldlichtung besteigen Frau und Kinder ein Privatflugzeug. Die Motoren starten, der Vater feuert auf die Polizei, dann springt er auf eine Tragfläche und schießt von hier aus weiter. Das Flugzeug hebt ab und fliegt von Ohio direkt nach Kuba. War der Vater die ganze Zeit auf der Tragfläche?

Der Auftakt zum neuen Marvel-Kinoabenteuer „Black Widow“ lässt keinen Zweifel, dass hier Unterhaltung für Zehn- bis Zwölfjährige im Sinne von Kirmesattraktionen und jeglicher Verweigerung physischer und medizinischer Gesetzmäßigkeiten stattfindet. Was grundsätzlich in Ordnung ist. Schließlich geht man doch genau dafür ins Kino: Um die Begrenzungen des Alltags und die Unzulänglichkeiten der eigenen Existenz abzustreifen, sobald es im Saal dunkel wird. Marvel-Filme sind dafür genau das richtige Rauschmittel.

Russischer Geheimdienst unterzieht die beiden Mädchen einem bizarren Training

Oder auch nicht. Denn gleich im Anschluss wird es kompliziert. Der russische Geheimdienst (wir sind im Jahr 1995) nimmt sich der beiden Mädchen an und unterzieht sie einem bizarren Geheimtraining. Die jüngere Schwester, Jelena Belowa (Florence Pugh), wird zur Attentäterin ausgebildet, während Natascha Romanoff Spionin wird, die irgendwann zu den USA überläuft. Jetzt setzt die Filmhandlung ein und Natascha (Scarlett Johansson) muss das Land verlassen, weil Sicherheitsbehörden auf Geheiß des US-Außenministers Jagd auf sie machen.

In Budapest trifft Natascha ihre Schwester wieder. Die beiden befreien ihren Vater (David Harbour) aus einem Hochsicherheitsgefängnis, feiern mit der Mutter (Rachel Weisz) zünftig Wiedervereinigung mit Brot und Wodka und müssen stets auf der Hut sein. Ein mysteriöser Schlagetot mit Skelettmaske ist Natascha wegen eines Serums auf den Fersen, mit dem russische Gehirnwäsche rückgängig gemacht werden kann.

Der Film „Black Widow“ ist kein Superheldenspektakel

Es ist wahrlich viel los in diesem Film, der kein Superheldenspektakel ist, weil die Heldinnen über keine Superkräfte verfügen. „Black Widow“, betitelt nach dem russischen Programm, dessen Agentinnen alle Schwarze Witwe heißen, leitet fürs Kino Phase 4 im Marvel Cinematic Universe (MCU) ein, nachdem die Serie „WandaVision“ gleiches schon im Streaming vollzogen hatte. Zeitlich verortet ist der Film zwischen „The First Avenger: Civil War“ und „Avengers: Infinity War“. Die Zeitfenster werden somit spürbar enger im MCU und es droht wie einst mit den „Planet der Affen“-Filmen in den 70er-Jahren, dass es kompliziert wird mit den Zeitebenen.

Ursprünglich war „Black Widow“ als eine Art feministischer Actionfilm gedacht, was von Produzent Kevin Feige unterbunden wurde. Drehbuchautorin Jac Schaeffer musste gehen, Regisseurin Cate Shortland („Somersault“, „Lore“) durfte nur noch sehr bedingt weibliche Befindlichkeiten einfließen lassen. So sprechen die Schwestern zwar darüber, dass ihnen von den Russen sämtliche Fortpflanzungsorgane operativ entfernt wurden, das aber so locker und beiläufig, als ob der Nachtisch fürs nächste Abendessen diskutiert würde.

Disney-Konzern plant streng nach Erfolgsraster

Der Disney-Konzern, der mittlerweile die Rechte an fast allen Marvel-Figuren besitzt, lässt bei sündhaft teuren Filmproduktionen für den Weltmarkt keine verstörend systemkritischen oder frauenspezifischen Zwischentöne zu. Lieber lässt man noch ein paar idiotisch aufgedonnerte Actionszenen mehr erstellen, in denen wie verrückt geballert, geprügelt und gestürzt wird. Es liegt auf der Hand, dass die Gesichter der Heldinnen dabei keinerlei Kratzer, Schrammen oder blaue Flecken davontragen. Bei Marvel haben nur Männer das Sagen und sie planen streng nach Erfolgsraster.