Herne. „Trial and Error“ – eine kurzweilige Fingerübung im „Neuen Zirkus“: Das Theater Kohlenpott hat sich dafür mit den Artisten von Urbanatix vereint.
Zu den härtesten Gegnern auf Erden zählt gewiss die gemeine Kokosnuss. Wer sie knackt, kann sich freuen, doch einfach ist das nicht. Nach allen Regeln der Kunst wird die widerspenstige Frucht auf der Bühne bearbeitet. Hämmern, bohren, werfen, fluchen: Nichts davon hilft. „Die hat bestimmt ein Gewinde“, hofft eine. „Ich beiß‘ die einfach auf“, meint eine andere. Einer probiert‘s sogar mit einer Kopfnuss: An einer Stange baumelnd lässt er sich kopfüber hinunter auf die Nuss fallen. Ob das was bringt?
„Trial and Error“ (also Versuch und Irrtum) nennt sich eine Performance, die in den Herner Flottmannhallen zu sehen ist. Ausgeklügelt haben sie das Theater Kohlenpott und die Bochumer Streetart-Künstler von „Urbanatix“. Es ist die erste Zusammenarbeit beider Gruppen – und nach der Hoffnung vieler Zuschauer beim euphorischen Schlussapplaus im Saal noch längst nicht die letzte.
Samuel Beckett gibt die Richtung vor
Das Stück, das die Regisseure Frank Hörner und Christian Eggert gemeinsam mit ihrem sechsköpfigen Ensemble entwickelt haben, richtet sich explizit an ein heranwachsendes Publikum ab acht Jahren. Auf leichtfüßige Weise erzählen sie davon, was das Leben für junge Menschen auf dem Weg zum scheinbaren Erwachsensein bereithält, welche Fehler und Peinlichkeiten sie begehen, aber auch welche Freude und Zuversicht ihnen dabei begegnen. „Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern“: Das unsterbliche Zitat von Altmeister Samuel Beckett gibt die Richtung vor.
Hinfallen, aufstehen, Krone richten: Die unbändige Lust am Scheitern wird in kurzweiligen 70 Spielminuten vielfältig abgebildet. Dabei folgen die Zuschauer einem Tag im Leben einer jungen Schülerin, die nur als Stimme aus dem Off zu hören ist. Von den Nöten in der Pubertät bis zur ersten Liebe in der Disco: Was dem Mädchen hier alles widerfährt, bringen die sechs jungen Akteure in fliegendem Rollenwechsel auf die Bühne. Mit viel Musik, wummernden Beats und einigen kuriosen Einfällen gelingt ihnen dabei eine treibende, fließende Choreographie, die eine Menge Lebensfreude versprüht. Da wird sogar das Saxophon-Solo aus „Baker Street“ von Gerry Rafferty fröhlich geflötet – auf den Röhrchen von Corona-Schnelltests.
Zeynep Topal in einer berührenden Szene
Dass Scheitern indes auch ordentlich wehtun kann, zeigt Schauspielerin Zeynep Topal in einer berührenden Szene: Weil das Mädchen auf dem Pausenhof möglichst cool rüber kommen möchte, hat es einen Mitschüler übel beleidigt. Kaum ausgesprochen, tun ihr die Worte entsetzlich leid – doch was tun? Leise stammelnd bitte sie um Verzeihung, denn nur die hohe Kunst der Entschuldigung kann sie jetzt noch vor dem schlimmsten Scheitern retten: der sozialen Ausgrenzung.
Doch solche ernsten Momente finden sich in der Performance eher selten. Dafür sorgen allein schon die Akrobaten von „Urbanatix“, deren kraftvolle Darbietungen vor allem im zweiten Teil des Abend die Oberhand gewinnen. In der Mitte der Bühne wird eine große Stange aufgebaut: Mit welch unbändiger Energie sich der durchtrainierte Oskar Skrypko hier hinauf und hinunter windet, das tut allein schon beim Zusehen weh. Artistin Sina Kiekbusch zeigt derweil kunstvolle Darbietungen am Reifen, traumschön begleitet von Svea Kirschmeier an der Gitarre. Für die „Urbanatix“-Künstler, die ihre Shows sonst im weiten Rund der Bochumer Jahrhunderthalle zeigen, ist der Auftritt in Herne gewiss ein Kammerspiel, dennoch sind sie mit ganzem Herzen dabei.
Weiter im Oktober
Am Ende, soviel sei verraten, triumphiert die Lust am Leben eindeutig über den bangen Erfahrungen des Scheiterns. Während es die Zuschauer im coronabedingt nur spärlich gefüllten Saal kaum noch auf den Sitzen hält, setzen die Artisten auf der Bühne zu immer wilderen Kunststücken an. Die Kokosnuss wird übrigens auch verspeist.
Wieder am Sonntag, 4. Juli, sowie am 6., 7., 8. und 9. Oktober. Karten: karten@theaterkohlenpott.de