Wuppertal. Das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch gibt Einblick in den Spielplan 2021/2022. Es fußt auf Traditionen, Geschichte und Experimentierfreude.
Die Situation am Tanztheater Wuppertal Pina Bausch spiegelt sich deutlich im Spielplan für 2021/22. Es ist eine Mixtur aus dem Repertoire der Jahrhundert-Choreografin und einer stilistisch noch nicht definierten Zukunft. Ähnliches gilt für das Ensemble selbst: Die Hälfte der 32 Tänzerinnen und Tänzer hat nicht mehr mit Pina Bausch gearbeitet. Die Fluktuation ist relativ hoch. Kein Wunder. Die nächste Lichtgestalt, die der berühmten Bühne Halt und Profil, Perspektive und Identifikation geben soll, ist seit dem Tod von Pina Bausch 2009 noch immer nicht gefunden.
Eine Interimslösung nach der anderen: Erst waren es Mitglieder des Tanztheaters selbst, die die trauernde Truppe über Wasser hielten. Dann folgte das unerfreuliche Kapitel Adolphe Binder. Das Zerwürfnis zwischen ihr und Geschäftsführer Dirk Hesse endete Anfang 2020 mit einer Millionenentschädigung. Als erneute Zwischenlösung kamen Bettina Wagner-Bergelt und ihr kaufmännischer Geschäftsführer Roger Christmann Ende 2018. Im Juni 2020 sollte eine neue Leitung präsentiert werden. Als Konsequenz aus dem Binder-Desaster erlegte man sich einen komplizierten Auswahlprozess unter Einbeziehung des Tanztheater-Personals auf. Trotz 30 internationaler Bewerbungen fand man nicht zusammen. Wagner-Bergelt verlängerte.
Gesucht werden ein künstlerischer Leiter und ein „Choreographer in Residence“
Immerhin hat man jetzt die Strategie bei der Suche nach einer Intendanz-Besetzung gewechselt: Gesucht werden ein künstlerischer Leiter sowie ein „Choreographer in Residence“. So kann der Tanzkünstler sich aufs eigene Werk und das Bausch-Erbe konzentrieren. Und die Leitung kümmert sich um den Betrieb. Nicht nur das Ensemble hat Lust auf eine neue Ära.
In der neuen Saison gibt es eine Wiederbegegnung mit weiteren Stücken des radikalen Frühwerks von Pina Bausch: „Blaubart“ (1977), „Kontakthof“ (1978), „Orpheus und Eurydike“ (1975). „Hier sind wir am Ursprung ihrer Arbeit“, erläutert Bettina Wagner-Bergelt, „Pina Bausch kämpft in diesen Jahren darum, etwas Eigenes zu erschaffen, ihre Sprache zu finden. Die Schönheit entsteht als Überraschungseffekt. Eine Schönheit, die schmerzhaft ist.“ So „Orpheus und Eurydike“, die Tanzoper zu Christoph Willibald Glucks psychologisierender Komposition. Sie wurde lange an der Pariser Oper gezeigt und kehrt nach Wuppertal zurück. Das wegweisende Werk wird in Zusammenarbeit mit Michael Hofstetter, Spezialist für Barockmusik und Leiter der Gluck-Festspiele in Fürth, neu einstudiert. Nach der Premiere im April 2022 wird es auch dort zu erleben sein. Bauschs jüngere Kreationen sind ebenfalls gesetzt: „Wiesenland“, „Palermo Palermo“, „Vollmond“, „Sweet Mambo“. 30 Aufführungen der zehn Produktionen werden in Wuppertal gespielt. 56 Gastspiel-Auftritte sind wegen der Pandemie nur in den Nachbarländern wie Frankreich, Luxemburg, Polen oder Österreich und in deutschen Städten geplant – mit der Ausnahme St. Petersburg.
Richard Siegal eröffnet die Saison im November mit „Shooting into the Corner“
Das Standbein fest in der eigenen Historie verwurzelt, das Spielbein experimentierfreudig in Aktion – so präsentiert sich das Ensemble in Wagner-Bergelts Zwischen-Intendanz. Spektakulär eröffnet der US-Choreograf Richard Siegal die Saison im November, hoffentlich vor Publikum im Opernhaus. „Shooting into the Corner“ lautet der Arbeitstitel seines gewalttätigen Stücks im namensgebenden Bühnenbild des britisch-indischen Bildhauers Anish Kapoor. Dessen Installation besteht aus einer luftdruckbetriebenen Kanone. Ein pneumatischer Kompressor schießt rote Wachskugeln quer durch den Bühnenraum – mit neun Company-Mitgliedern – in eine Ecke, wo die Kugeln sich zu Farbhaufen türmen und verkleben. So entsteht aus einem aggressiven Akt, der als Kriegskommentar gelten könnte, stilles Wachstum. Die zweite, noch namenlose Neukreation erarbeitet der Wuppertaler Tänzer Rainer Behr mit dem Ensemble.
Im Ensemble ist diese Herangehensweise nicht unumstritten
Und dann sind da die „External Eyes“, die auf ausgewählte Stücke der Tanz-Legende blicken und Neueinstudierungen „begleiten“. Im Ensemble ist diese Herangehensweise – verständlicherweise – nicht unumstritten. So hat die israelische Künstlerin Saar Magal 2020 bereits die Rekonstruktion von „Das Stück mit dem Schiff“ (1993) verantwortet. Inwieweit sie Einfluss auf das Werk der Bausch genommen hat, zeigt sich bei der Premiere im Januar 2022. Der norwegische Choreograf Alan Lucien Øyen soll „Sweet Mambo“ ins Visier nehmen. Auch Peeping Tom, die Bildhauerin Senga Nengudi sowie die Künstlerin Pauline Curnier-Jardin werden mit der Bausch-Company arbeiten.