Recklinghausen. Erstmals in Europa zu Gast: Strawinskys „Sacre du Printemps“ in einer rasanten Tanzfassung von „Circa“ aus Australien. Leider nur als Stream...
Gäbe es den Corona-Lockdown nicht – eine außergewöhnliche Version von Strawinskys Ballett „Das Frühlingsopfer“ wäre jetzt live bei den Recklinghäuser Ruhrfestspielen zu sehen gewesen. Außergewöhnlich, weil die Nouveau-Cirque-Kompanie „Circa“ aus Brisbane (Ost-Australien) sich mit Zirkus-Artisten und Akrobaten einen eigenen Reim auf eine der epochenprägenden Tanzmusiken des 20. Jahrhunderts macht. Sie erzählen weniger, wie im Tanztheater, die Geschichte aus dem heidnischen Russland Eins-zu-Eins. Es geht ihnen nur in zweiter Linie um den Mythos, in dem ein junges Mädchen (‚Jungfrau‘) für den Frühlingsgott in Gruppenbildern vorbereitet und ihm dann geopfert wird, um ihn versöhnlich zu stimmen.
Vielmehr entfachen die australischen Spitzen-Akrobaten des zeitgenössischen Zirkus‘ ‚Circa‘ zu der mit Schlagwerken aufgeheizten Komposition von 1913 ein sinnliches Körper-Fest voller Saft, Kraft und Virtuosität. Die Premiere, die schon bei den Ruhrfestspielen 2020 wegen des Lockdown ins Wasser fallen musste, wurde jetzt nachgeholt – allerdings digital.
Bei den Ruhrfestspielen wird Strawinskys „Sacre du Printemps“ von der Ästhetik des Zirkus beflügelt
Die fantasiebeflügelnden Licht- und Schattenspiele (Véronique Bennett), die die durch die Luft fliegenden oder gleitenden Artisten-Körper immer wieder auf- und abtauchen lassen, beginnen bereits im Prolog. Es ist eine zeitgenössische Komposition von Philippe Bachman, die mit zwitschernden Natur- und hämmernden Maschinen-Geräuschen jongliert und nahtlos, nach 25 Minuten, mündet im berühmten Fagott-Solo des Strawinsky-Originals.
Dabei reizt Choreograph Yaron Lifschitz die Qualitäten von zehn Trapez-Akrobaten (in der Mehrzahl Männer) aus. Sie bilden Kreisen, fallen aus ihnen heraus, tragen zwei Figuren auf ihren Schultern. Oder vier oder fünf von ihnen bilden bühnenhohe Türme, gleiten im Zeitlupentempo auf den Boden, springen plötzlich auf, heben ab wie Turmspringer und setzen Strawinskys Melodik und bohrende Rhythmen in Bilder um. Anfangs zucken die athletischen Artisten unter den perkussiven Hieben zusammen – so, als ob eine Peitsche sie getroffen hätte. Immer wieder kehren muskelbetonte Dreier- oder Vierer-Balance-Akte der Hand-zu-Hand-Akrobatik, wie man sie auch aus dem Variété kennt.
Dieses „Sacre“ zeigt viele Tableaus im Zeichen des Rituals
Beiläufig und unaufdringlich lassen sie Ritual-Tableaus entstehen: Da erkennt man Kreise und Gruppenbilder, aus denen eine Frau aufsteigt, über zahlreiche Männer-Rücken schreitet oder wie eine Statue getragen oder emporgehoben wird. In hohem Bogen werfen sie Partner aus dem Kreis, andere fangen sie auf und tragen sie wie ein angeschossenes Tier davon.
Fazit: So körperbetont und mit so viel geschmeidiger Power wird die Strawinsky-Musik nur selten in Bewegungs-Bilder umgesetzt. Jedenfalls ein Fest für die Augen!
Nächstes Stück aus dem Neuer-Zirkus-Programm bei den digitalen Ruhrfestspielen: „Smashed2“ von Gandini Juggling, Großbritannien, 22. Mai, 20 Uhr. Weiteres zu aktuellen Tanz-Projekten der Region hier.