Recklinghausen. Sie wollen spielen, unbedingt: Mit Stars und hohem Anspruch gehen die 75. Ruhrfestspiele an den Start. Das Volksfest fällt aus.

Liegt nicht die schönste Hoffnung im Detail? Das besonders Neue am Programmbuch der Ruhrfestspiele ist: die virenabweisende Oberfläche. Der Intendant paart Mut mit Ehrgeiz: Ein zweites Mal in Folge solle Deutschlands dienstältestes Theaterfestival nicht ausfallen, sagt Olaf Kröck. Er ist Optimist, aber kein Prophet. Was auf dem Hügel real auf die Bühne kommt, was am Ende sein Zuhause im neu kreierten „digitalen Festspielhaus“ findet, wird man sehen.
Das Wort „hoffentlich“ fiel bei der Programmverkündung am Donnerstag nachgerade programmatisch. Wer weiß, wie es wird? Das Motto in Zeiten der Unwägbarkeit lautet zum 75. Geburtstag der Institution, an deren Wiege einst der Handel Kunst für Kohle stand: „Utopie und Unruhe“. Die Utopie sind nicht zuletzt funktionierende Theateraufführungen. Kröck und die Seinen wollen alles dafür tun, es gibt zertifizierte Tests für alle Akteure, dazu gewaltige Abstände im Publikum, das man teils auch draußen (Stadion Hohenhorst) empfangen will. Die Vorsicht als Einsicht blockiert den Massenauflauf am 1. Mai, es gibt kein Kulturvolksfest! Kröck liegt vermutlich richtig, wenn er in einer Durchführung mit Distanz und lauter Verboten das sinnlose Gegenteil der zuverlässig hoch fünfstelligen Geselligkeit sieht.

Das Programm der Ruhrfestspiele 2021 wird stattfinden, am besten live, alternativ digital


Zurück zum Motto: Wie jedes kluge Leitmotiv hat es weit offene Arme. So wird niemand mäkeln, dass ein Teil der letztjährig unter „Macht und Mitgefühl“ geladenen Knüller 2021 irgendwie auch passt. „Don Quijote“ mit Ulrich Matthes und Wolfram Koch etwa, zwei Elite-Mimen, die in Jan Bosses Deutung die ganze Romanwelt spielen – vom Esel bis zur Dulcinea. Gleiches gilt für Lars Eidinger („Peer Gynt“) und das in Szene gesetzte Porträt von drei Frauengenerationen aus Arbeiterfamilien im Ruhrgebiet und in Niederschlesien: „Arbeiterinnen“.

Stars von Corinna Harfouch bis René Pollesch kommen nach Recklinghausen


Der Mix aus internationaler Prominenz und erheblicher Ambition hatte Olaf Kröck 2019 einen Überraschungserfolg in seiner ersten Saison beschert. Er führt die Linie fort, mit einer Verneigung vor dem No-Theater Japans („Die Seidentrommel“), mit Corinna Harfouch in „Orlando“, mit einer saftigen Berliner Dreigroschenoper von Barrie Kosky aus Berlin – und zeigt mit der rein weiblichen Performance „Four“ die jüngste Arbeit von Regie-Star René Pollesch. Die Kunstausstellung gilt dem aufstrebenden Mariechen Danz. Eine „Bonus“-Foto-Ausstellung verneigt sich zum 75, vor dem Publikum der Ruhrfestspiele – und stellt es ins Zentrum.

Eine Fotoausstellung zum 75. Bestehen der Festspiele gilt ganz den Zuschauern


Neuer Zirkus, Kabarett, der Literatur-Reigen um Moderator Denis Scheck (u.a. mit Daniel Kehlmann und Paul Maar), die Lesungen (Paula Beer, Devid Striesow) sind und bleiben Stützen der Festspiele und sind, wie das ganze Programm, als „hybride Veranstaltung“ konzipiert. Heißt: Zu sehen sind sie, wir wissen nur nicht, wo. „Auch die Badewanne“, sagt Kröck, könne doch ein schöner Ort dafür sein. Ein Auftakt als fröhliche Ermutigung der Künste. Oder um es mit dem Intendanten zu sagen: „Es gibt keinen Grund, vorauseilend zu verschwinden!“

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INFOS:
Das Programmbuch gibt es ab sofort, der Kartenverkauf der Ruhrfestspiele beginnt am 19. April. Derzeit geht man von einer Platznutzung von etwa 30 Prozent aus. Ständig aktualisierte Informationen gibt es unter www.ruhrfestspiele.de
Wandern Aufführungen in dieser Saison ins Digitale, geht das gegen Streaming-Gebühr: Pro Stück 15 €, ermäßigt 7,50 €.