Essen. Erste Bühnen in NRW schließen für diese Spielzeit Vorstellungen mit Publikum aus. Ein Domino-Effekt für Theater der Region? Ein Stimmungsbild.
War das der berühmte Flügelschlag eines Schmetterlings, der den sprichwörtlichen Orkan anfacht? Ende letzter Woche wagte sich Bochums kleines Prinz Regent Theater vor: Die Saison wurde sofort beendet, das Ensemble in vorgezogene Ferien geschickt. Ein Zeichen gegen nicht enden wollende Schließung, das Warten auf Erleichterungen, auf sinkende Inzidenzen.
Zwei Tage später folgte überraschend ein Tanker unter den öffentlichen Theatern Nordrhein-Westfalens: Oper und Schauspiel Bonn ließen den Vorhang vorzeitig heruntersausen. Rüdiger Frings, kaufmännischer Direktor, nannte Mankos einer seit Monaten währenden Hängepartie beim Namen: Angesichts „fehlender Planungssicherheit“ würden Aufwand und Nutzen „sowohl in künstlerischer als auch wirtschaftlicher Hinsicht in keinem Verhältnis zueinander“ stehen.
Manche Bühnen sind das Warten leid. Sie kommen mit der Schließung der Politik zuvor
Und nun haben Wuppertals Bühnen die Reißleine gezogen. „Keine verlässliche Perspektive“ sieht deren Opernintendant im Gespräch mit unserer Zeitung, selbst der Abschied der Generalmusikdirektorin Julia Jones wird per Stream laufen. „Die Entscheidung zur Absage aller Vorstellungen vor Publikum für den Rest der Spielzeit fiel uns alles andere als leicht“, sagt Berthold Schneider.
Sind die Bühnen an Wupper und Rhein die Dominosteine, die Bochum, Essen, Dortmund und all die anderen Standorte einer der dichtesten Theaterlandschaften der Welt zeitnah umkippen lassen – vom Wartestand zur Auszeit?
Der Unmut wächst. Theaterleiter beklagen die lange Zeit „fehlender Planungssicherheit“
Die Stimmen, die unsere Redaktion sammelt, sind kämpferisch oder doch mindestens vom Mut der Verzweiflung getragen. „In mir sträubt sich alles, die Saison vorzeitig abzuhaken, als könnte man Konzerte einfach verschieben. Jedes ausgefallene Konzert ist ein verlorenes Kunstwerk. Man kann dann wieder neue ansetzen, aber weg ist weg – und jedes einzelne ist es wert, dass wir darum ringen“, antwortet Raphael von Hoensbroech auf die WAZ-Frage nach einer möglichen Signalwirkung von Bonn und Wuppertal. Und doch musste der Intendant des Dortmunder Konzerthauses auch diese Woche die Stille seines Prachtsaals verlängern: Kein Ton erklingt vor dem 20. Mai.
Michael Schulz (Musiktheater im Revier) ist der dienstälteste Intendant der Region. Den Ehrgeizigen lassen die Schließungen in Bonn und Wuppertal nicht kalt: „Zunächst weigere ich mich auf einer rein emotionalen Ebene erneut, ein solches Szenario auch nach vierzehn Monaten zu denken und dann anderthalb Jahre geschlossene Kultureinrichtungen zu ertragen“, sagt er. Aber Schulz sieht „gleichzeitig die Realitäten“, ist in ständigem Austausch mit der Stadt. Aktuell aber lässt er sich „den Zweckoptimismus nicht nehmen und voreilig ein Ende der Saison beschließen. Das mag naiv sein, ich weiß aber große Teile unseres Publikums an meiner Seite.“
Der Deutsche Bühnenverein fürchtet, erst wieder um Publikum kämpfen zu müssen
Für den Deutschen Bühnenverein sagt dessen Vorstand Marc Grandmontage: „Im Spiel zu bleiben, ist natürlich das große Ziel der Bühnen. Es sehnen sich alle nach Klarheit – und die Politik hat da nicht sehr geholfen. Eine Planung mit der neuen Spielzeit ist inzwischen sicher realistisch. Das ist bitter. Es bedeutet nach so vielen Monaten der Schließung eine weitere Zäsur. Das Publikum zurückzugewinnen wird eine ganz große Aufgabe. Das Entwöhnen sozialer Nähe ist in allen Bereichen tief ins Verhalten eingegangen. Man wird nicht einfach weitermachen können wie bisher.“
Essens Schauspiel-Intendant Christian Tombeil bekennt: „Wir brennen darauf, zu spielen, Produktionen liegen ja zuhauf auf Halde. Aber klar gibt es auch Gründe, jetzt ‚Stop‘ zu sagen, um im Herbst vernünftig beginnen zu können.“ Tombeils Ensemble und all die anderen vom Bochumer Schauspiel bis zur Rheinoper füllen seit den diversen Lockdowns die Zeit so gut es geht. Proben, Warten. Warten, Proben.
Druck auf die Träger wächst: In Essen soll Anfang Mai entschieden werden
„Ein Stand-by, der an die Nerven geht“, sagt uns eine erfahrene Schauspielerin, die lieber anonym bleiben möchte. Die Bonner Entscheidung findet sie „richtig. Das ist auch ein Schutz aller Beteiligten. Viele von uns können einfach nicht mehr.“ Weder Streaming noch kleine Live-Einlagen hätten auch nur ansatzweise kompensieren können, was Darstellende Kunst seit so langer Zeit an Einbußen erlitten habe. Und die Option Open-Air? „Für den Großteil unserer Kunst nicht zu gebrauchen“, winkt sie ab.
Der Druck wächst, auch bei den öffentlichen Trägern. Nach WAZ-Recherchen soll etwa für die „Theater und Philharmonie Essen“ bereits Anfang Mai ein runder Tisch die Lösung bringen.
Bochums Prinz Regent übrigens will nach den vorgezogenen Spielzeitferien die Saison mit einem Stück eröffnen, das einem todtraurigen Thema „lebensbejahend“ begegnet. Sein Titel erinnert daran, was auch Theater zurückbringen kann: „All das Schöne“.