Bochum. Das Kammerorchester Ensemble Ruhr führte sein neues Projekt „Sehnsucht und Ahnung“ corona-konform in der Jahrhunderthalle auf. Aber ohne Publikum.
Im März war die Hoffnung noch groß, dass es klappt. Dann wurde der Lockdown verlängert – und der Traum von der Premiere vor echtem Publikum war geplatzt. Da die Jahrhunderthalle aber fest gebucht war, haben die Mitglieder des Kammerorchesters Ensemble Ruhr die Sache trotzdem durchgezogen und ihr neues Projekt „Sehnsucht und Ahnung“ auf die Bühne gebracht – auf eine coronakonforme, wohlgemerkt.
Diese Bühne, entworfen von Kristina Schmidt, erinnert an eine in sechs Stücke geschnittene Torte. Sie ist kreisrund, hat einen Durchmesser von etwa zehn Metern und kann von den Besuchern betreten werden. Nach und nach gelangen sie im Laufe der Aufführung in die sechs verschiedenen „Tortenstücke“. Sie sind durch Stoffbahnen voneinander getrennt und nach oben offen. In den Räumen steht der Besucher den Musikern direkt gegenüber. „Ein völlig neues Konzerterlebnis“, nennen es die beiden künstlerischen Leiterinnen Anna Betzl-Reitmeier und Antje Weltzer-Pauls. Auch wenn die Premiere am Freitag ohne Publikum über die Bühne ging, wurde das Sicherheitskonzept durchgezogen, als wären Gäste zugegen: Kontakt-Abgabe mit der Luca-App, Schnelltests, Hände desinfizieren, FFP-Masken, Abstandsmarkierungen – das volle Programm.
„Der Tod und das Mädchen“ von Franz Schubert
Seit Oktober hatten Regisseurin Katrin Sedlbauer und die Mitglieder des Ensemble Ruhr an „Sehnsucht und Ahnung“ gearbeitet. Dazu haben sie Franz Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“ in der Kammerorchesterfassung von Gustav Mahler ziemlich auseinandergenommen: Sie spielen mit Fragmenten der Komposition, teilweise wird kreativ improvisiert. Bewusst haben sie solch ein dramatisches, emotionales Werk gewählt – schließlich war das Ziel der Künstler, ihre eigene Situation in der Corona-Krise zu verarbeiten und für das Publikum spürbar zu machen. Mit diesem Konzept hat das in Essen beheimatete Kammerorchester auch das Bundesministerium für Kultur überzeugt: „Sehnsucht und Ahnung“ ist eines der bundesweit 27 Projekte freier Ensembles, die Corona-Hilfen aus dem Programm „Neustart Kultur – Orchester vor neuen Herausforderungen“ bekommen haben.
Zentrales Thema der Produktion ist das Wechselspiel von Distanz und Nähe. So nimmt das Publikum, Platz wäre für 18 Besucher, zu Beginn der Aufführung Platz auf Stühlen, die in der riesigen Jahrhunderthalle verteilt sind. Sie schauen zunächst nicht auf die Bühne, sondern auf die trüben Milchglasscheiben der ehemaligen Industriehalle. Dann erklingt aus dem Off die Musik. Sofort ist die Distanz vergessen.
Hoffnung auf eine Aufführung im Maschinenhaus Essen
Es folgt die Einladung, die Bühne zu betreten. Jetzt ist der Gast ganz nah dran an den Künstlern. Jedes Detail ist sichtbar, jede Klangnuance hörbar. „Diese Eins-zu-Eins-Situation macht etwas mit uns Musikern“, sagt Antje Weltzer-Pauls. „Wir spüren sofort, ob unser Gegenüber gelangweilt ist, aufgeregt, irritiert oder freudig.“
Am Ende bleibt die Hoffnung, „Sehnsucht und Ahnung“ doch noch vor Publikum aufführen zu dürfen. Wenn die Pandemielage es zulässt, will das Ensemble Ruhr das Stück vom 26. bis zum 28. November im Maschinenhaus Essen präsentieren.