Köln. Das Museum Ludwig in Köln zeigt Andy Warhol als schwulen Einwanderersohn – und gewinnt neue Perspektiven auf Vertrautes: Ein Genie der Phantasie!

Silberne Ballons schweben wie rechteckige Kopfkissen durch den Raum, heliumgefüllt, von Besuchern kreuz und quer durch den Raum geschickt, auch gegen die gelben Wänden mit roten Kuhkopf-Drucken drauf. Wir sollen damit spielen, das Helle, das Positive sehen, uns vielleicht in eine Wolkenwelt träumen, wo alles luftig ist und leicht.

Diese „Silver Clouds“ aus dem Jahr 1966 demonstrieren im Kölner Museum Ludwig vielleicht am eindringlichsten, wie unermüdlich Andy Warhol zumindest in dieser Zeit noch nach Neuland für die Kunst suchte, als unerschrockener Pionier und Außenseiter der Kunstwelt. Zwei Jahre später wollte der Avantgarde-Choreograf Merce Cunningham die „Silver Clouds“ in einem Tanzstück verwenden und bat Warhol um Kostüm-Entwürfe dafür. Als der vorschlug, die Tänzerinnen und Tänzer nackt auf die Bühne zu schicken, wandte sich Cunningham lieber an Warhols Kollegen Jasper Johns.

Merce Cunningham wandte sich an Jasper Johns, der mit Rauschenberg liiert war

Warhols doppelter Elvis.
Warhols doppelter Elvis. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Johns wiederum war schon in den 50er-Jahren nicht so mutig wie Warhol mit seiner (damals noch verbotenen) Homosexualität umgegangen und verheimlichte, dass er in einer Paarbeziehung mit Robert Rauschenberg lebte. Warhol war aus seiner Heimatstadt Pittsburg als Schaufenster-Dekorateur nach New York gegangen, in den 50ern der USA fast schon eine Art Bekenntnis für Schwule.

Die so heiß begehrte Kölner „Andy Warhol Now“-Ausstellung versucht den von Routine und Anerkennung schon etwas staubbedeckten Warhol für die Jetztzeit neu zu entdecken – als jemanden, der schon früh zum Außenseiter wurde. Als Kind slowakischer Einwanderer aus den Karpaten etwa, die Anfang der 20er-Jahre als Warholas ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten aufgebrochen waren, aber zugleich auch die Geborgenheit des „tschechischen Viertels“ in Pittsburgh mit seiner russinischen Kirchengemeinde gesucht hatten. Doppelter Außenseiter wurde er als Schwuler, der trotz aller Selbst-Unsicherheiten sehr selbstverständlich mit seiner sexuellen Orientierung umging. Und von einer vorbehaltlosen Offenheit gegenüber Menschen, für die das 21. Jahrhundert den Begriff „divers“ geprägt hat. Und man sieht in Köln, dass diese radikale Offenheit, auch für Versuche, Ideen und Wagnisse, fürs Andersdenken und -machen auch den Künstler Andy Warhol mit seinem Dauer-Feuerwerk an Kreativität ausmacht.

Drei Perücken und die Wertschätzung von George Grosz

Es ist die erste Retrospektive seit 30 Jahren im Museum Ludwig mit seinem weltweit konkurrenzfähigen Warhol-Bestand. Aus dem diese Ausstellung freilich nur ein Dutzend Werke bezieht, der Rest sind Leihgaben aus illustren Quellen wie der Tate Modern in London, die diese Ausstellung nach Ende der aktuellen Laufzeit übernehmen wird.

Es gibt also auch für Stammgäste des Kölner Hauses manch Ungesehenes zu entdecken, zumal die Warhol-Stiftung in Pittsburgh großzügig auch mit Dokumenten und Reliquien war, von Passagierlisten aus den 20ern bis hin zu drei Perücken aus dem schier unerschöpflichen Fundus von Warhol, der bereits in den 50er-Jahren begann, sein lichter werdendes Haupthaar mit Werken der Perückenmacherkunst zu kaschieren. Das sind aber auch Männer-Zeichnungen von unzweideutiger Nacktheit oder ein grandios widerborstiges „Nasenbohrer“-Gemälde, mit dem sich Warhol Ende der 40er-Jahre um ein Kunststudium bewarb, da malte er noch ganz im zeitgenössischen Stil von Neuer Sachlichkeit und Art Brut. George Grosz in der Auswahljury der Hochschule soll auch Feuer und Flamme für den „Nosepicker“ gewesen sein.

Wie sich Andy Warhols künstlerische Handschrift entwickelte

Man kann in dieser Ausstellung aber auch wunderbar die Entwicklung von Andy Warhol hin zu dem Pop-Art-Künstler verfolgen, als der er dann berühmt wurde: Wie er anfängt, mit Schablonen immer das gleiche Motiv auf Leinwände zu malen, um scheinbar die „Handschrift“ des Künstlers zu verwischen. Anfangs malt er etwa die reproduzierten Geldscheine noch selbst. Später wird er Suppendosen und Ikonen der Pop-Kultur verdoppeln und damit ihren Waren-Charakter ausstellen. Zeitlebens bleibt der religiös geprägte Junge aus der Arbeiterschicht fasziniert vom christlichen Bildervorrat bis hin zu seinen Variationen von Leonardos „Abendmahl“, die 1987 seine letzte Ausstellung bilden sollten.

Der Tod ist einer der roten Fäden in Warhols Leben, immer wieder setzt er sich mit Totenschädeln auseinander, reproduziert Elektrische Stühle oder Horror-Unfälle und Unglücke in seiner „Death & Disaster“-Serie. Schier unermüdlich experimentiert Warhol bis in die 70er-Jahre hinein, bevor er sich künstlerisch – bewusst und programmatisch, nicht mehr revolutionär – in Wiederholungsschleifen begibt.

Der Schlaf des Beat-Poeten John Giorno und die Fotos von Stephen Shore

Unter den Werken sind freilich auch unzählige Platten-Cover, von denen das Stones-Album „Sticky Fingers“ (anfangs noch mit echtem Reißverschluss, bis man merkte, dass die gestapelten Cover sich gegenseitig verkratzten) nur das berühmteste ist. Bizarre Filmprojekte beginnen mit dem Vier-Stunden-Film „Sleep“, der den Beat-Poeten und Kurzzeitgeliebten John Giorno beim Schlafen zeigt (Warhol ließ die langweiligsten Szenen zusammenschneiden). Und allein in der Factory entstehen von 1962 bis 1972 über 500 notorisch drogenverseuchte Experimentalfilme.

In der Factory fotografierte übrigens der 17-jährige Stephen Shore, der zum Farbfoto-Künstler aufsteigen sollte – damals noch in Schwarzweiß. Performances, Multimediashows, Musikshows: Warhol versucht in der Hochzeit seiner Kreativität, so gut wie jede Grenze zu pulverisieren. Jede. „Am Ende der Zeit, wenn ich sterben muss“, schrieb er in der „Philosophie des Andy Warhol“, „möchte ich keine Reste hinterlassen. Und ich möchte kein Überbleibsel sein.“ Danach sieht die beeindruckende Kölner Ausstellung nun wahrlich nicht aus.