Essen/Hannover/Berlin. . Folkwang und mehr: Drei Ausstellungen in Essen, Hannover und Berlin würdigen den Umbruch vor und hinter der Kamera zwischen 1976 und 1986

Der Kahlschlag, den die Nazis in der deutschen Fotografie anrichteten, war gründlich. Das Avantgardistische, Kritische, Engagierte war nach ‘45 abgeschnitten. Viele Fotografen im Exil, das Medium – als rotierendes Rad in der Propagandamaschine der Diktatur – derart diskreditiert, dass man ihm nur noch Dokumentation zutraute, vielleicht noch Reklame.

Der Gedanke, dass Fotografie eine Kunstform sein könnte, setzt sich erst Mitte der 70er-Jahre wieder fest. Das liegt nicht an Bernd und Hilla Becher, die ab 1976 an der Düsseldorfer Kunstakademie eine Fotoklasse formen. Ann und Jürgen Wilde führen in Köln die erste kommerzielle Foto-Galerie, die Documenta 1977 bekommt einen heftig diskutierten Foto-Schwerpunkt. Die Schweizer Zeitschrift „Camera“ feiert Altmeister der Zunft wie Eugene Atget, holt aber auch Trends aus dem Foto-Dorado USA über den Atlantik.

Folkwang-Studenten begehren auf

Den Aufbruch der Fotografen zu neuen Ufern, der sich mit all dem anbahnt, schildern nur drei Ausstellungen in Essen, Berlin und Hannover. Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Schau „Und plötzlich diese Weite“ im Sprengel-Museum. Sie schildert kundig die Situation: zeigt, wie die „Camera“ Stephen Shore, Diane Arbus und andere US-Fotografen vorstellt, aber auch einen 25-jährigen Folkwang-Studenten wie Andre Gelpke mit dezent-intimen Aufnahmen italienischer Transvestiten.

In Essen gibt es derweil noch ei­nen anderen Umbruch: 1978 stirbt der Kamera-Guru Otto Steinert, der fast zwei Jahrzehnte lang Fotografen an der Folkwang-Hochschule ausgebildet hat – und der Foto-Studiengang wird zum „Kommunikationsdesign“ an der Gesamthochschule Essen. Die Studenten aber machen ihr eigenes Ding, fotografieren in Farbe (zumal das Labor über einen legendären Farb-Entwickler verfügt) und den Alltag, verstoßen gegen althergebrachte Regeln, fotografieren Serien und Projekte. Und organisieren sich selbst.

Die Steinert-Assistentin Ute Eskildsen wird Foto-Kuratorin am Folkwang Museum und zieht Ausstellungen wie „Abschied vom Einzelbild“ oder „Reste des Authentischen“ auf, lädt aber auch Laien ein, die Frage „Wie lebt man im Ruhrgebiet“ mit Fotos zu beantworten – und das Museum zeigt die Bilder der Schüler, Kassiererinnen, Metzger, Studenten und Zöllner. Andreas Horlitz lichtet die triste Essener City in rotstichigen Nachtbildern ab und kombiniert sie mit Hochglanzbildern aus dem Fernsehen. Joachim Brohm spiegelt zunächst die Banalität des Freizeitalltags in seiner „Ruhr“-Serie, bevor er mit radikal offener Blende dem sprechenden, ja schreienden Detail in der vernarbten Industrielandschaft Ruhr zum großen Auftritt verhilft. Und Andreas Gursky fotografiert seinen Gasherd, Neubau-Terrassen oder Flughafen-Besucher, bevor er in die so ganz anders arbeitende Becher-Klasse wechselt.

„Neue Deutsche Unschärfe“

Die neue Folkwang-Professorin Angela Neuke-Widmann sprach damals verächtlich von der „Neuen Deutschen Unschärfe“ – heute ist der Begriff ein Markenzeichen. Wie viel Experiment, wie viel Aufbruch und Umsturz damals war, dokumentiert die Ausstellung „Das rebellische Bild“ im Essener Folkwang Museum.

Sie zeigt auch das Wirken von Michael Schmidt, einem ehemaligen Polizeibeamten, der aus seiner Faszination von Kameras einen Beruf gemacht hatte, der 1975 in Kreuzberg die „Werkstatt für Photographie“ an der Volkshochschule einrichtete, die nicht nur Foto-Enthusiasten ausbildete, sondern in ungeahntem Maße US-Fotografen in Deutschland bekannt machte und dafür sorgte, dass auch über die theoretische Seite der Lichtbildnerei diskutiert wurde.

Schmidt, der in Essen zwei Jahre lang Folkwang-Studenten unterrichtete, sorgte auch für einen lebhaften Austausch zwischen Essen und Berlin. Die erstklassige Fotografie, die man im dortigen Amerika-Haus zu sehen bekam, rückt nun die dritte Ausstellung dieser Trias im Fotomuseum C/O Berlin ins Bild.