Dortmund. 1933 schlossen fast alle deutschen Fußballvereine jüdische Spieler aus. Selbst Nationalspieler wie Julius Hirsch wurden in Auschwitz ermordet.
Am 1. März 1943, als er schon mit elf weiteren Juden aus Baden im Transportwaggon nach Auschwitz unterwegs war, schickte Julius Hirsch vom Dortmunder Hauptbahnhof, schräg gegenüber vom heutigen Deutschen Fußballmuseum, noch eine Postkarte nach Hause: „Meine Lieben. Bin gut gelandet, es geht gut. Komme nach Oberschlesien, noch in Deutschland. Herzliche Grüße und Küsse“. Hirsch konnte einfach nicht glauben, dass man Böses, gar Tödliches mit ihm im Schilde führte – ihm, der als schneller Linksaußen von 1911 bis 1913 sieben Mal für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft angetreten war, darunter bei den Olympischen Spielen 1912 in Stockholm, der vier Jahre lang im Ersten Weltkrieg als Soldat gekämpft hatte und dafür mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse dekoriert worden war.
Die vergleichsweise bekannten Lebensgeschichten von Hirsch und Gottfried Fuchs (bis heute Rekordhalter mit zehn Toren in einem Länderspiel), seinem Mannschaftskameraden beim Karlsruher FV, mit dem sie auch Deutscher Meister wurden, sind nur zwei von elf Biografien jüdischer Fußballer aus Deutschland, denen das Fußballmuseum in Dortmund nun eine Wander-Ausstellung widmet: „Im Abseits. Jüdische Schicksale im deutschen Fußball“ gibt es derzeit mit sechs ausführlich geschilderten Lebensläufen auch auf der Homepage des Museums. Die komplette Ausstellung, sagt Manuel Neukirchner, Direktor des Fußballmuseums, soll als dessen Beitrag des Fußballmuseums zum Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ nach Ende der Corona-Beschränkungen „landesweit in Schulen und Bildungseinrichtungen auf Wanderschaft gehen“ (die transportablen Schautafeln können auch angefordert werden).
„Schild“- und „Makkabi“-Vereine
Der Einschnitt für jüdische Fußballer im Deutschen Reich kam schnell nach der Machtübernahme der Nazis am 30. Januar 1933: Schon im April darauf erklärt der Deutsche Fußball-Bund (DFB) im vorauseilenden Gehorsam jüdische Mitglieder in seinen Vereinen und Verbänden „für nicht tragbar.“ Eine Ausschluss-Welle geht durch das Land; die ausgeschlossenen Kicker wechseln in ihrer Not in die seit Anfang des Jahrhunderts entstandenen rein jüdischen „Schild“- und „Makkabi“-Vereine, die schließlich sogar in einer eigenen Liga ihre Meisterschaften und Pokale austragen. Die heute auch im Ruhrgebiet wieder aktiven Makkabi-Vereine sind allesamt Neugründungen, nach der Reichspogromnacht von 9. November 1938 wurden diese Vereine verboten.
In dieser Zeit flieht Ernst Alexander mit seinen Geschwistern in die Niederlande, wo er schnell einen Verein findet. Ernst Alexander kickte in der Schalker Jugend, machte sich Hoffnung, mit Szepan und Kuzorra auflaufen zu dürfen – bis Schalke 04 wie so viele Fußballvereine 1933 alle jüdischen Spieler ausschloss. 1942 stirbt Ernst Alexander in Auschwitz. Julius Hirsch, der von seinem geliebten Karlsruher FV ausgeschlossen wurde, versuchte sich 1938 umzubringen und überlebte nur knapp.
„Scheiß-Nazi“-Flüche in Buenos Aires - für Max Girgulski
Dem Grauen der Judenverfolgung entkommen konnte Max Girgulski, der trotzdem nicht glücklich werden sollte. Er, der erfolgreich in der Jugend von Eintracht Frankfurt gekickt hatte, wich in den örtlichen Bar-Kochba-Club aus und wurde mit ihm 1936 und 1937 Makkabi-Meister. Als die Frankfurter 1938 das Finale verloren, erklärte es die „Jüdische Rundschau“ damit, dass ihr bester Spieler inzwischen nach Argentinien ausgewandert war: Max Girgulski.
Als sich der Geflohene dann in Buenos Aires den Boca Juniors anschloss, musste er sich von den Fans als „Scheiß-Nazi“ beschimpfen lassen. Girgulski schaffte den Sprung in die erste Mannschaft nicht, blieb in die Zweite verbannt. Und hatte sein blaues Maccabi-Meister-Trikot mit über den Atlantik genommen. Heute hängt es im Deutschen Fußballmuseum, seine Tochter Susanna Baron überließ es dem Haus. Sie hat die Geschichte dieses besonderen Bekleidungsstücks vor Dortmunder Schülern erzählt und schloss mit den Worten: „Ihr seid nicht verantwortlich für das, was damals passiert ist; aber Ihr seid verantwortlich dafür, dass es nie wieder geschieht.“
Das peinliche, unwürdige Verhalten des DFB gegenüber Gottfried Fuchs
Mit der Aufarbeitung jüdischer Schicksale im deutschen Fußball hat es lange gedauert. Als Sepp Herberger sein Idol, den einzigen überlebenden jüdischen Fußballer Gottfried Fuchs, der rechtzeitig nach Kanada ausgewandert war, vom DFB zur Eröffnung des Münchner Olympiastadions einladen lassen wollte, verweigerte der Verband das mit der Begründung, man wolle „keine Präzedenzfälle schaffen“. Die peinliche Absage erreichte Gottfried Fuchs nicht mehr, er starb kurz zuvor an einem Herzinfarkt.
Und noch 1988 hat der „Kicker“ Sammelalben aller deutscher Nationalspieler herausgegeben – „nur Gottfried Fuchs und Julius Hirsch fehlten, 43 Jahre nach Kriegsende sogar noch!“, empört sich Manuel Neukirchner: „Letztlich waren es die Fan-Initiativen, die die Erinnerungsarbeit angestoßen haben.“
Schalke 04 lobt einen Ernst-Alexander-Preis aus
Immerhin: Im Februar vergangenen Jahres weihte man in Gelsenkirchen einen Ernst-Alexander-Weg ein, und seit 2018 wird von Schalke 04 ein Ernst-Alexander-Preis für Integration, Vielfalt und Toleranz. Den ersten bekamen Schülerinnen und Schüler des örtlichen Grillo-Gymnasiums – für Nachforschungen zur Biografie Ernst Alexanders.