Bottrop. 25 Jahre Medizinkabarett, 3000 Vorstellungen, zweieinhalb Millionen Zuschauer. Jetzt hört Doktor Stratmann auf. Ein Abschiedsinterview.

Eigentlich hatte Ludger Stratmann 2020 das letzte Mal lachenden Fans live den Puls fühlen wollen. "Best Of”  - und tschüss für immer. Corona hat alles geändert. Der Abschied - einer auf Raten. Aber Schluss macht der Doktor nach einem Vierteljahrhundert doch. Lars von der Gönna traf ihn, gut maskiert, zum Gespräch über Spaß am Malochen, den Witz als Verdrängung, Botschaften von der Bühne und den Horror vor der Impfung.

Herr Doktor, Sie können doch nicht einfach aufhören. So wie es Menschen gibt, die nur noch Merkel als Kanzler kennen, stehen Sie als totale Konstante des Revierhumors. Schluss mit lustig, im Ernst?

Ludger Stratmann: Gucken Sie mich mal an! Ich bin ein 72-jähriger Senior. Was glauben Sie, wie ich mich aufs Nichtstun freue?!  Morgens aufzusteh’n und nix vor der Nase zu haben: ein Traum! 

Wirklich? Als Sie im Frühling der erste Lockdown traf, hatte ich deutlich den Eindruck: Das Auftreten fehlt Ihnen!

Stratmann: Beides stimmt. Ja, doch: Es fehlt, vielleicht auch, weil man derzeit nicht freiwillig nichts tut. Mein Abschied sollte im Dezember 2020 sein, mit einer ganzen Reihe von Abenden in unserem Essener Theater. Mussten wir alles absagen.   

Sie holen den Bühnen-Abschied nach, sobald der Lockdown fällt?

Stratmann: So stelle ich mir das vor. Mein Sohn macht jetzt schon Termine für April. 2021 ist praktisch mein 2020 (lacht). Ich sag es mal anders: Ich spiele, solange die Vorstellungen meines „Best Of“, bis keiner mehr kommt. Also: Die Entscheidung „Ich höre ganz auf“ steht. Aber ich schicke keinen nach Hause, der sich letzten Frühling ‘ne Karte gekauft hat.

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Sie wagen es nicht mehr, einen Stichtag zu nennen, wann Ihre Kabarett-Praxis dicht macht?

Stratmann: Den Termin kennt nur das Schicksal (lacht): Wenn wir keine Karten mehr verkaufen, ist es vorbei. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das bis Ende des Jahres geht. 

2020 hat Ihnen einen Vorgeschmack gegeben: Sie durften nicht auftreten. Fühlte sich das wie Ruhestand an?

Stratmann: Eher wie Urlaub. Ich muss ehrlich sagen: Ich hab’ unendlich was durch diese Karriere erleben dürfen. Aber ich trauere jetzt nicht irgendwas hinterher.   

Nicht? Andere Künstler, die ich in solchen Situationen treffen durfte, nannten den Bühnenabschied sogar Tod...

Stratmann: Das wär für mich zu hoch gehängt.  Ich hab‘ ja schon Schwierigkeiten, den Beruf zu beschreiben. Tja, was bin ich? Selbstständiger Schauspieler? Bestimmt kein Comedian. Und „Kabarettist“ können ja immer weniger buchstabieren… 

Sie galten als Workaholic...

Stratmann: Ich hab’ die letzten 30 Jahre so malocht, Druck ohne Ende. 

Das war doch freiwillig!

Stratmann: Ehrlich: Ich kann’s nicht mehr verstehen, dass ich’s mal als geil empfunden habe, drei Auftritte am Tag hinzulegen. Das war Wahnsinn. Natürlich gibt es auch wunderbar Verrücktes, was ich durch diese Arbeit erlebt habe. Als Rau Bundespräsident wurde, wollte er mich für sein Gartenfest. Da rief dann ein hoher Beamter aus Berlin an und teilte mir das mit. Ich hab‘ gesagt: „Geht nich, da hab’ ich schon eine Gala.“ Dann rief der Nächsthöhere an. Den Satz weiß ich wie heute: „Aber der Bundespräsident wünscht es!“ und legte auf. Das war meine erste Berührung mit der Macht an sich.

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Sind sie bei Rau aufgetreten?

Stratmann: Ja, klar. War großartig! Auch wenn seine Frau mit meinem Humor à la “Pilz inne Buxe“ offensichtlich nix anfangen konnte (lacht).   

Schon komisch, dass zwei Brüder aus Ostwestfalen im letzten Vierteljahrhundert die Humor-Szene des Ruhrgebiets nachhaltig geprägt haben: Christian mit dem Mondpalast und Sie, Doktor Stratmann. Ist das Zufall?

Stratmann: Wenn ich das wüsste. Ich denke an meine Mutter, die gesagt hat: „Ihr könnt alles, Ihr müsst et nur machen! Manchmal sagte sie auch: Du kannst alles, Du bist ein Stratmann. Das fand ich etwas seltsam.“ Und an meinen Vater denke ich, der Dinge so ernst und trocken servieren konnte, dass alle sich darüber kaputtlachen konnten. Das hat mir imponiert. Leider nur, bis ich zehn war. Unser Vater ist ja früh gestorben.   

Ihr Erfolg, Millionen Besucher live, hat sie nie lässig gemacht. Es machte Sie nicht resistent für einen mit langem Gesicht im Parkett…

Stratmann: Im Gegenteil. Is‘ bekloppt, aber der eine interessiert einen. Ehrlich: Es passiert mir heute noch, dass ich nachher zur Theaterkasse geh und sage: „Guckense mal, wer Reihe 4, Platz 13 gesessen hat, die waren nach der Pause nicht mehr da. Haben die die Karten bezahlt oder waren die eingeladen?“ Ich will dann wissen, warum die weggegangen sind. Das wurmt! Zwei Millionen Zuschauer im Rücken nutzen einem dann gar nichts.

Sie stehen von Beginn für Humor angesichts von einer Krise namens Krankheit. Menschen machen über ihre Zipperlein ständig Witzchen. Eine Verdrängungstechnik unserer Spezies?

Stratmann: Ich glaube, der größte Verdränger ist der Mediziner selbst. Er muss ja nicht nur mit einer Arbeit zufrieden sein, mit der er nicht zufrieden sein kann, er hat ja permanent einen Kranken vor sich. Für viele gibt es keinen schnellen Weg zur Heilung, is’ also auch kein Grund fröhlich zu sein. Und dann muss man dem Patienten trotzdem Hoffnung geben - oder ihn wenigstens nicht runterziehen.   

Das ist nicht jedem Ihrer einstigen Kollegen gegeben…

Stratmann: Nein, und das fand ich immer ganz furchtbar, dass es Patienten gab, die aus einer Praxis kamen und sagten: „Der hat mir noch zwei Jahre gegeben“. Wie kann man als Arzt einem Menschen sagen: „73 werden Sie nicht mehr!“?  

Wie haben Sie das früher gemacht, als Sie noch Ihre Praxis in Bottrop hatten?

Stratmann: Ich habe das umschrieben, auch freundlich gelogen oder gesagt „Warten wir mal ab!“. Den meisten Menschen geht es damit besser. Ich wollte nie einen Patienten verletzen. Was Arztsein ist, haben ja die wenigsten in die Wiege gelegt bekommen. Einer, der mit Spitzennoten den Studienplatz bekommt, ist nicht unbedingt für den Umgang mit Menschen geschaffen. Die Auswahlkriterien sind also ziemlich einseitig. Ich hab’ Horror davor, mal so krank zu sein, dass mir ein junger Kollege erläutert, wie es um mich steht... 

Zurück zur Bühne: Millionen saßen live und lauschten Ihnen. Gab es von Ischias bis Prostata so etwas wie die eine Botschaft Ihrer Programme?

Stratmann: Durch alle Geschichten hindurch heißt sie: „Nehmt Euch selber nicht so ernst!“ Würde ich auch über meine Bühne hinaus gerne den Leuten sagen: Wie sich Menschen aktuell etwa in der Gendersprache aufplustern - das sind so Formen der Wichtigtuerei, die für mich in Komik enden. Für was Leute Energie verschwenden, das find‘ ich im Alter immer grausiger. 

Letzte Frage: Wer ist zuerst geimpft, Ihre Zuschauer oder Sie?

Stratmann: Ich wär‘ gern früh dabei. Aber ich hab‘ einen Horror davor - nicht wegen der Spritze sondern als Medizinkabarettist, den jeder kennt, in sonner langen Schlange zu stehen. Aber vielleicht erkennt mich ja niemand: Ich derzeit arbeite mit Schal und Kappe an Mitteln, mich unkenntlich zu machen... 

>>> INFO: Stratmanns Theater bleibt

Ludger Stratmann (*1948 in Verl) schrieb im Revier Humor-Geschichte. 25 Jahre bespaßte er zweieinhalb Millionen Zuschauer live, mal kam er mit seinem Bein, mal mit "Pilz inne Buxe". Seine verschobenen Abschiedsvorstellungen sollen nach dem Lockdown folgen. Aktuelle Infos gibt es unter stratmanns.de. Das Essener Theater werden Stratmanns Kinder weiter betreiben.