Essen. Krimi des Monats: Garry Dishers neuer Kriminalroman „Hope Hill Drive“ aus dem australischen Outback: der mit dem Hirschhausen, Paul Hirschhausen.

Der neue Dorfpolizist heißt Paul Hirschhausen (fast so wie der Quizmaster mit dem Doktortitel) und lässt sich „Hirsch“ rufen. Das klingt dann wie „Hörrsch“, denn wir befinden uns keineswegs im hiesigen Sendegebiet, sondern in Tiverton, Southern Australia.

In dieses Kaff hat man den ehemaligen Detective abgeschoben und zum Constable degradiert, weil er so couragiert war, gegen ein Netzwerk von korrupten Kollegen und Vorgesetzten aufzubegehren. Das wissen wir bereits aus „Bitter Wash Road“, dem ersten Roman dieser neuen Serie von Garry Disher, und lesen nun, unter dem etwas optimistischer anmutenden Titel „Hope Hill Drive“, wie Hirsch sich um das Vertrauen der Einheimischen bemüht.

Probleme mit dem Ziegelstein lösen

Dass ihm das bei der High School-Lehrerin Wendy und ihrer Tochter Katie, einer Pippi-Langstrumpf-Figur, besonders schnell (und vermutlich dauerhaft) gelingt, wird allen gefallen, die vom Krimi auch ein wenig Gefühl erwarten. Im übrigen kümmert sich Hirsch um die ortsspezifischen Widrigkeiten. Ein preisgekrönter Hund ist ausgerissen und halb totgeprügelt worden; es gibt immer wieder Kupferdiebstähle; zwei Halbwüchsige fahren einen geklauten Pick-Up zu Schrott, die Mutter des einen, die ortsbekannte Alkoholikerin, brettert mit ihrem ebenfalls schrottreifen Gefährt mitten in den Pub an der Hauptstraße. Eine neu zugezogene Frau hat ihr Kleinkind versehentlich im überhitzten Auto eingeschlossen – kurz vor Weihnachten ist es hier ja besonders heiß. Hirsch löst dies Problem mit Hilfe eines Ziegelsteins, zeigt aber generell viel Verständnis für menschliche Schwächen, fast wie ein Sozialpädagoge. Sogar die täglichen Kritteleien eines notorischen Besserwissers erträgt er mit Fassung.

Dreimal den Deutschen Krimipreis gewonnen

Ich erwähne das, weil all diese kleinen Probleme im Laufe der Story wieder auftauchen, wie Sprengfallen, die später explodieren – so hat es der Autor selbst es einmal beschrieben. Hirsch erlebt dies erstmals, als er in ein nächtliches Massaker stolpert, dem ein halbes Dutzend Zuchtponies der Hundebesitzerin zum Opfer gefallen sind. Und die sorglose Mutter samt ihren Sohn wird erschossen aufgefunden, das kleine Mädchen aus dem heißen Auto und ihre Schwester sind verschwunden. Die Dorfgeschichte hat sich unversehens in einen mehrschichtigen Thriller verwandelt, in dem neben dem örtlichen Bösewicht auch wieder die Korruption innerhalb der Polizei eine tödliche Rolle spielt.

Der Autor Disher schreibt so ähnlich wie Hirsch ermittelt: unaufgeregt, behutsam in der Figurenzeichnung und aufmerksam für alle Details. Literarisch gesehen ist er ein Meister realistischer Beschreibungs- und Erzählkunst, der keine formalen Experiment anstellt, die Anforderungen an einen Krimi, also vor allem die Spannung, aber ganz nebenbei erfüllt. Hervorzuheben ist vor allem, wie er die Landschaft des „Outback“, die kargen Schafweiden, trockenen Weizenfelder und das angrenzende Buschland nicht nur beschreibt, sondern fast wie eine weitere Figur in Handlung und Stimmung des Romans integriert.

Hirschhausen und sein Namensvetter

Garry Disher begann als Allroundautor – etwa auch von Kinderbüchern – und gilt mit seinen verschiedenen Serien inzwischen als einer der weltweit besten Krimiautoren. Und zwar nicht nur, aber doch auch bei uns. Schon dreimal hat er den Deutschen Krimipreis erhalten. Und fast einstimmig wurde er diesmal auf den Spitzenplatz unserer Krimi-Bestenliste gewählt. Dass er das deutsche und Schweizer Publikum besonders schätze (wir lesen seine Bücher ja in der Übersetzung von Peter Torberg für den Zürcher Unionsverlag), hat er mehrfach betont. Und als „eine Art Dankeschön“ habe er einigen Figuren deutsche Namen gegeben. Wer weiß, vielleicht hat er auf einer seiner Lesereisen hierzulande doch die Quizschau von Hirschhausens Namensvetter geguckt?

Garry Disher: Hope Hill Drive. Aus dem Englischen von Peter Torberg. Unionsverlag, 334 S., 22 €.