Einer der ganz treuen Gäste des Klavierfestivals gab sich in Mülheim die Ehre: Pierre-Laurent Aimard. Ein Abend im Zeichen des Aufbruchs.
Ein Programm, wie man es von Pierre-Laurent Aimard erwarten darf: Bei seinem 28. Auftritt im Rahmen des Klavier-Festivals Ruhr stemmte er zwar nicht monumentale Schlachtrösser wie Beethovens „Hammerklaviersonate“ und Charles Ives‘ „Concord Mass.“ wie vor drei Jahren in Duisburg.
Aber Beethovens nicht weniger anspruchsvoller „Appassionata“ nahtlos die hammerharten Eingangsakkorde von Karlheinz Stockhausens „Klavierstück IX“ folgen zu lassen, das traut sich kaum ein anderer seiner Kollegen. Das auf den ersten Blick bizarre Programm mit Werken von Olivier Messiaen, Beethoven und Stockhausen ist natürlich minutiös durchdacht und folgt Aimards ästhetischer Leitfrage, die er dem Publikum in der „ausverkauften“ Mülheimer Stadthalle im Zugabenteil expressis verbis stellte: „Wer ist moderner? Beethoven oder Ligety.
Pierre-Laurent Aimard: beim Klavierfestival Ruhr in Aufbruchstimmung
Ob Klassik oder Avantgarde, Aimard ist an der Aufbruchstimmung interessiert, mit der die großen Meister aller Zeiten verkrustete Traditionen einrissen und einreißen und möchte zugleich Klischees und Vorurteile entkräften. Und nicht nur das. Er ist auch in der Lage, diese Botschaft überzeugend vermitteln zu können.Wie radikal Beethoven in seiner „Appassionata“ mit den auf Mäßigung und Symmetrie ausgerichteten Prinzipien seiner Zeit aufräumte, vermittelt er mit seinem unter Hochspannung stehenden, gleichwohl kontrollierten Spiel in jedem Takt. Zugleich entlockt er dem „Klavierstück IX“ des Bürgerschrecks Stockhausen sanfte Klänge und Farben, die eine Brücke zu den magischen Klangwundern Olivier Messiaens schlagen. Zwei filigran gestrickte Miniaturen aus Messiaens „Catalogue d’oiseaux“, die Heidelerche und der Waldkauz, umrahmen Beethovens „Mondschein-Sonate“, die in Aimards Interpretation mit ihrem fantasieartig präludierenden Kopfsatz und dem stürmisch attackierenden Finale nicht weniger zukunftsweisend klingt als die „Appassionata“ und die jüngeren Werke.
Im Zugabenteil mit der direkten Kopplung von drei schlichten Bagatellen Beethovens mit drei Miniaturen aus György Ligetis „Musica ricercata“ belegt Aimard seine These, dass Modernität keine Frage der Entstehungszeit sei, so komprimiert wie unter einem Brennglas.Auch in Mülheim bestach Aimard wiederum nicht nur mit seinen phänomenalen pianistischen Fähigkeiten, sondern verhalf zu tieferen, oft überraschenden Einblicken in die Welt der Musik.