Dortmund. Volle Besetzung, keine Mindestabstände: Haydns „Schöpfung“ in Dortmund beim bundesweit ersten Chorkonzert seit dem Corona-Einbruch gefeiert.
Es war ein Saisonauftakt, der an bessere Zeiten erinnerte und für zwei Stunden vergessen ließ, unter welchen Unwägbarkeiten die Kulturszene derzeit vor sich hindümpelt und mühsam aufgepäppelt werden muss. Dass eine Aufführung von Joseph Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ in gewohnter Präsentation, also in voller Besetzung ohne Mindestabstände, als „Bundesweit erstes Chorkonzert seit dem Corona-Einbruch“ überregionale Beachtung findet, zeigt, dass von Normalität noch keine Rede sein kann.
Raphael von Hoensbroech, Intendant des Dortmunder Konzerthauses, der die Saison vor 650 zugelassenen Besuchern so mutig eröffnete, ist sich bewusst, dass er mit dem „Weckruf“ seine Kollegen zwar unter ermutigenden Druck setzt, dass unter den aktuellen Bedingungen solche Aufführungen derzeit jedoch Ausnahmen bleiben werden.
Musiker erlebten eine mehrtägige Quarantäne mit drei Testungen in vier Tagen
Dass die rund 70 Sänger und Musiker der Balthasar-Neumann-Ensembles für dieses Ereignis eine mehrtägige Quarantäne mit drei Testungen in vier Tagen auf sich nahmen, zeugt einerseits von dem Hunger der Künstler nach werkdienlichen Arbeitsbedingungen, aber auch von der langen und engen Verbundenheit mit dem Dortmunder Konzerthaus. Thomas Hengelbrock und seine Leute haben die „Schöpfung“ erst vor zwei Jahren in Dortmund aufgeführt. Es dürfte nicht nur an den Entzugserscheinungen der letzten Monate gelegen haben, dass die aktuelle Aufführung einen zusätzlichen Glanz ausstrahlte, der sich von den Ausführenden rasch auf das Publikum übertrug.
Qualitativ wurde eine Interpretation auf dem hohen Standard geboten, den man von Hengelbrock und seinen Musikern gewohnt ist. Zu erleben war eine äußerst vitale, farbige und detailgenaue Ausführung von Haydns Mahnung, sich gerade in unruhigen Zeiten die Schönheit und den Wert der Schöpfung ins Bewusstsein zu rufen. Der anspruchsvolle Orchesterpart mit seinen delikaten lautmalerischen Finessen ist beim Balthasar-Neumann-Ensemble bestens aufgehoben, wobei das historische Instrumentarium inklusive eines außergewöhnlich wohlklingenden Hammerflügels das angestrebte transparente Klangbild unterstützte. Und der ausgewogene, stimmlich perfekt geschulte Chor verlieh den effektvollen Nummern ohne dynamischen Überdruck die nötige Strahlkraft.
Fünf Solisten teilten sich die anspruchsvollen Solo-Partien
Gleich fünf namhafte Solisten teilten sich die anspruchsvollen Solo-Partien. Bassbariton Florian Boesch gestaltete die facettenreichen Rezitative des Engels Raphael mit bestrickender Intensität, mit der er zugleich die opernhaften Züge des Oratoriums packend zum Ausdruck brachte. Einen Uriel von androgyner Klarheit und perfekter Stimmkultur bot Tenor Julian Prégardien. Die Sopran-Partien des Engels Gabriel und der Eva erfüllten Robin Johannsen und Katja Stuber mit mädchenhafter Anmut. André Morsch lieferte ein stimmlich weiches Rollenprofil des Adam.
Am Ende ergossen sich endlose Standing Ovations über die Künstler.