Essen. Am Wochenende wäre die Ruhrtriennale eröffnet worden. Das politische Ungeschick ihrer Chefin Stefanie Carp brachte sie an den Rand der Existenz.

An diesem Wochenende hätte die letzte Ruhrtriennale-Saison der Intendantin Stefanie Carp eröffnet werden sollen, aber Covid-19 hat mehr verhindert als das anstehende Festival. Nämlich einen Eklat gleich zu Beginn der 19. Ruhrtriennale-Saison, auf den sie mit schier unerbittlichem Willen zum tragischen Ausgang zusteuerte.

Schließlich hätten die mit einiger Skandalsehnsucht herbeigeschriebenen Antisemitismus-Vorwürfe gegen den vorgesehenen Eröffnungsredner Achille Mbembe, der weltweite Anerkennung als Rassismus-Analytiker genießt, entweder für Protestdemonstrationen vor der Jahrhunderthalle gesorgt – oder für einen Skandal mit internationaler Tragweite. Wenn Mbembe angesichts des Drucks aus der Politik vom Festival wieder ausgeladen worden wäre, hätte sich nicht nur in Afrika ein Sturm der Entrüstung entsponnen. Und die hochkomplexe Antisemitismus-Debatte wäre noch einmal komplizierter geworden.

Stefanie Carp hat auf dem Feld der Festival-Politik versagt

In ihrem Selbstverständnis, in ihrer Programmatik, mit der sie im Revier den globalen Süden zur Sprache bringen und sichtbar machen wollte, ist Stefanie Carp wahrscheinlich die Politischste von allen Triennale-Leitungen gewesen. Aber ausgerechet auf dem Feld der Festival-Politik hat sie versagt: Im vergangenen Jahr hat sie die Antisemitismus-Vorwürfe gegen die Band „Young Fathers“ erst unterschätzt – und dann mit einem Schlingerkurs von Ausladung und Wiedereinladung zur Havarie-Gefahr für das Festival werden lassen, die nur von einem souveränen Fahrensmann der Politik wie Norbert Lammert verhindert werden konnte, der dem Festival mit dem Hauptquartier in seiner Heimatstadt Bochum besonders wohlgesonnen ist.

Und nun steht Stefanie Carps Nachfolgerin ab 2021, die von der Landesregierung bestimmte Barbara Frey, unter Druck: Gelingt es ihr nicht, mit einer künstlerisch rundweg überzeugenden Festivalausgabe die Debatten um die Triennale zum Verstummen zu bringen, wird es sehr schnell um den Bestand des Festivals gehen.

Neues Leben für alte Hallen

Begründet wurde die Ruhrtriennale zum einen, weil die Internationale Bauausstellung Emscherpark (1989-1999) zwar jede Menge gerettete alte Industriegebäude hinterlassen hatte, aber keine Idee, was man mit ihnen denn anfangen soll.

Für die Bochumer Jahrhunderthalle etwa hatte die damalige rot-grüne Landesregierung aus Verzweiflung für 1,4 Millionen Mark den „Planet of Visions“, einen Publikumsmagneten von der Expo 2000 in Hannover mit lauter Zukunftsvisionen ankaufen lassen – doch dann stellte sich erst heraus, dass die Jahrhunderthalle für die „Planet“-Installation zu niedrig war, dann brannten die Einzelteile durch zündelnde Kinder auch noch ab. Danach sollte die Halle Probenzentrum der Bochumer Symphoniker werden – aber jeder Regenschauer verhagelte den Klang.

Triennale trägt auch zum kostspieligen Unterhalt der Spielstätten bei

Heute ist die Jahrhunderthalle das Hauptquartier der Ruhrtriennale, deren Verwaltung residiert in einem Neubau nebenan. Und in vielen anderen Hallen von Zweckel in Gladbeck bis zur Kraftzentrale im Meidericher Landschaftspark sorgt die Triennale nicht nur für Leben, sondern trägt mit ihrem 14-Millionen-Jahresetat auch zum überaus kostspieligen Unterhalt bei. Als Existenzberechtigung wird das allein auf Dauer aber nicht genügen.

Überblick: Die Ruhrtriennale-Chefs und Chefinnen von 2002 bis 2020

Gerard Mortier, der Gründungsintendant der Ruhrtriennale (2002-2004), sollte etwas vom Glanz und Ruhm der Festspiele in Salzburg ins Revier bringen, wo der Belgier nach zehn Jahren im Streit geschieden war, weil sein Modernisierungskurs bei den Festspielen oft auf k.u.k-Beton gestoßen war. Mortier ließ als erster die Idee der „Kreationen“ umsetzen, Gesamtkunstwerke aus Musik, Oper, Theater, Film und Tanz, die inspiriert sein sollten von den „Kathedralen der Arbeit“.

Sein Nachfolger Jürgen Flimm (2005-2008) brachte Star-Glitzern von Cecilia Bartoli bis Patty Smith und Armin Müller-Stahl ins Revier, ließ aber auch David Pountney mit der aufwendigen Inszenierung der Zimmermann-Oper „Die Soldaten“ einen Meilenstein setzen, der sich bis nach New York verkaufte.

Willy Decker (2009-2011) widmete seine Programme der Erforschung des Religiösen, Übersinnlichen, sein Nachfolger Heiner Goebbels (2012-2014) brachte extreme Avantgarde ins Revier und folgte am konsequentesten der Linie, nur Produktionen anzubieten, die es in den Stadttheatern der Region nicht geben könnte. Johan Simons (2015-2017) warf sich dem Revier an die breite Brust und versuchte den Spagat zwischen Popularisierung und Politisierung und eroberte neue Hallen von Dinslaken bis Marl.

Stefanie Carp (2018-2020) wurde Intendantin, weil man den Kult-Regisseur Christoph Marthaler ins Revier holen wollte, der schon bei den Mortier-Triennalen Erfolge wie „Die schöne Müllerin“ feiern konnte; bleiben wird von dieser Intendanz vor allem der Streit um den Antisemitismus-Vorwurf gegen Gast-Künstler und -Redner.