Bochum. Endlich wieder Live-Konzerte! Ein denkwürdiger Auftritt von Rudolf Buchbinder in Bochums Anneliese-Brost Musikforum begeisterte das Publikum.

Endlich! Langsam öffnen sich die Tore der Konzerthäuser und man darf den Künstlern, wenn auch mit Abstand, wieder als Mensch aus Fleisch und Blut begegnen und nicht als Schattenwesen aus dem unpersönlichen Wohnzimmer. Das Klavier-Festival Ruhr geht besonders ambitioniert vor und versucht, die meisten der noch bis zum 10. Juli ausstehenden Konzerte des diesjährigen Festivals realisieren zu können.

Los ging es mit einem denkwürdigen Auftritt von Rudolf Buchbinder im Bochumer Anneliese-Brost Musikforum. Die Befürchtung, angesichts der recht strikten Hygienevorschriften könnte sich eine ähnlich grabestrübe Stimmung einstellen wie in etlichen „Geisterkonzerten“ der letzten Wochen, war zum Glück unbegründet. Die knapp 1000 Plätze durften zwar nur zu einem Viertel besetzt werden, Pausengespräche und gastronomische Erfrischungen fielen aus. Aber das Konzerthaus begann aufzuleben. Das Gefühl, sich im Foyer angesichts der „maskierten“ Besucher, je nach Design des Mund- und Nasenschutzes, in der Notaufnahme oder in exotischen Gefilden aus „1001 Nacht“ versetzt zu sehen, wich im Saal der Vorfreude auf die Wiedererweckung der Live-Kultur.

Beethovens gewaltige Diabelli-Variation als Schlüsselwerk

Rudolf Buchbinder bot zwar ein leicht gekürztes Programm, stemmte es dafür aber gleich zwei Mal an einem Tag. Und das mit Beethovens gewaltigen Diabelli-Variation als Schlüsselwerk, was selbst einen so erfahrenen und Werk-kundigen Pianisten wie Buchbinder an seine Grenzen führen dürfte.

Beethovens „33 Variationen über einen Walzer von Anton Diabelli“ begleiten Buchbinder seit 60 Jahren und vergleicht man seine heutige Interpretation mit seiner ersten Einspielung aus den 70er-Jahren, hat sie nichts von ihrer Kraft, Inspiration und geistiger Tiefe verloren, dafür aber an Reife, subtiler Präzision und charismatischem Gewicht hinzugewonnen. Buchbinders Deutung der an Kühnheit kaum zu überbietenden Variationen als „Panoptikum menschlicher Grundwerte“ und „Vielfalt menschlicher Charaktere“ wird angesichts seines Spiels nachvollziehbar.

Neugier auf weitere Arbeiten der Zeitgenossen des Meisters

Es wäre reizvoll gewesen, auch einige Variationen über den Walzer anderer Komponisten aus der Zeit Beethovens zu hören, wie es ursprünglich vorgesehen war. Immerhin schürte Buchbinder mit dem Beitrag Franz Schuberts als Zugabe die Neugier auf weitere Arbeiten der Zeitgenossen des Meisters, die seinerzeit dem Aufruf gefolgt sind, eine Variation über den Walzer beizusteuern.

Interessanter erwies sich allerdings die Deutsche Erstaufführung von elf „Neuen Variationen“ aus den Federn zeitgenössischer Komponisten, die Buchbinder für das Beethoven-Jahr in Auftrag gegeben hat. Prominente Namen zieren die Liste, die den Walzer ähnlich radikal „vor unseren Ohren fressen und verdauen“, wie es Buchbinder Beethovens Zyklus bescheinigt. Dunkel geht es bei Lera Auerbach zu, ruppig bei Brett Dean, zerbrechlich bei Toshio Hosokawa und übermütig bei Jörg Widmann. Insgesamt ein Beethoven-Projekt, das künstlerisch und konzeptionell Maßstäbe im leider stark ausgedünnten Beethoven-Jahr setzt.

Die Blumen überreichte dem Pianisten ein Roboter

Anhaltender Beifall. Die Blumen überreichte dem Pianisten ein von Bochumer Studenten entwickelter, erfreulich gut erzogener Roboter. Blumen, die auch das deutlich aufgestockte, freundliche und hilfsbereite Personal verdient hätte. So kann es weitergehen…