Oberhausen. Die Oberhausener Kurzfilmtage laufen am Mittwochabend an – und bieten neben 152 Filmen in fünf Wettbewerben auch Live-Gespräche und DJ-Sets.
Dass Oberhausen für fünf Tage im Mai zu einer weltläufigen Stadt mit internationalem Flair wird, fällt in diesem Jahr der Corona-Krise zum Opfer – aber nicht das Festival, das diese Stadtverzauberung auszulösen pflegt: Die 66. Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen finden online statt, am Mittwochabend geht es um 20 Uhr los. Der Eintritt für alle 350 Filme aus rund 70 Ländern liegt mit einem Festivalpass für 9,99 Euro (der online über www.kurzfilmtage.de zu buchen) spektakulär niedrig, zumal man damit an einem der bislang größten Online-Festivals seit Beginn der Krise teilnehmen kann.
Festival-Chef Lars Henrik Gass frohlockt
Preisverleihung online
Zum Ende der Kurzfilmtage am 18. Mai werden wieder Preisgelder in Höhe von knapp 42.000 Euro verliehen, die Preisverleihung wird dann um 18.30 Uhr auf der Facebook-Seite des Festivals übertragen.
Dazu kommen Gespräche mit über 100 Filmschaffenden in den Wettbewerben, Live-Talks zu weiteren Programmen sowie allabendlich ein DJ-Set.
Allein in den fünf Wettbewerben des Festivals starten 152 Filme. Der umfassendste ist der Sparte International – und der Trend der vergangenen Jahre zu politischen Stoffen noch einmal stärker geworden ist, auch wenn Festival-Chef Lars Henrik Gass dagegenhält: „Wir wählen nicht nach Themen aus, die uns interessieren. Die Filme wählen uns aus, könnte man sagen.“ Er frohlockt, dass man nun mit dem neuen Festival-Format ein Publikum gewinnen könne, das „wir vor Ort in Oberhausen niemals hätten erreichen können, weit über nationale Grenzen hinweg“.
Die Filme des Internationalen Wettbewerbs reichen jedenfalls vom Alltagsleben eines Dorfes im mexikanischen Chiapas, das wegen eines Vulkanausbruchs komplett verlegt werden musst, bis hin zu den Sorgen einer Alleinerziehenden an der griechischen Küste. Dass Filme sich im reinen Kunstwillen etwa in fulminanten, orange und rot flammenden Groß- und Zeitlupenaufnahmen den Blütenstadien einer Amaryllispflanze widmen, wie die Britin Jayne Parker das tut, ist ein Ausnahmefall.
Filme über Viehdiebe, Alleinerziehende und Auswanderer
Renata Poljak etwa spürt in „Porvenir“ den Spuren der Auswanderungsgeschichte von kroatischen Landsleuten in Nord- und Südamerika nach, was das Kurzfilmformat bei aller Chiffrierung der Bilder doch zu überfordern scheint. Teboho Edkins, dessen „Hirten“-Film wegen deutscher Beteiligung auch im nationalen Wettbewerb läuft, eruiert sehr dokumentarisch die Wichtigkeit von Kuh-Herden im südafrikanischen Homeland Lesotho anhand von Gesprächen mit Herden-Dieben, die in einem speziellen Gefängnis für derlei Delikte einsitzen.
Fast echte Kino--Qualitäten hingegen entwickelt ein animierter Film wie „Phoenix“ von dem chinesischen Künstler Zhong Su, der trotz einer einzigen Kamera-Einstellung mit optischer Opulenz und hohem Gruselfaktor die Kamera einen Flug durch Phantasiewelten und dann auch durch eine Wasseroberfläche hindurch in die Unterwelt abtaucht. Experimentelle bis anarchisch sinnverweigernde Fingerübungen wie „Ein Film“ des schwedischen Regisseurs Marten Nilsson ist ebenso dabei wie die Western-Parodie „Ein Song, der oft im Radio gespielt wurde“ von Raven Chacon und Cristobal Martinez „aus der Santa-Fake-Bücherei“.
„Dunkelfeld“ spielt in Duisburg
Im deutschen Wettbewerb mit fast durchgehend englischsprachigen Titeln (und auch Texte wie in „Beasts Of No Nation“ von Krzysztof Honowski über eine ganze Generation von Ausgewanderten in Europa, die nirgends wählen darf und sich irgendwo zwischen Menschenmengen und der Einsamkeit in der Achterbahn durchs Leben schlägt.
Die Politisierung reicht bis zu „Dunkelfeld“ über einen Großbrand in Duisburg-Wanheimerort 1984, bei dem sieben Angehörige der türkischen Familie Satir umkamen. Die Behörden schlossen damals schnell aus, dass es ein rassistischer Anschlag war, doch bis heute zweifeln Überlebende daran. Marian Mayland, Patrick Lohse und Ole-Kristian Heyer drehten diesen Film mit der Initiative DU 1984.
Eine Transgender-Aktivistin und Heinz Strunk
Alexander Glandien hingegen zieht es weit weg, nach Bogotá, wo ein Interview mit der Umwelt-Expertin Brigitte Baptiste, die auch Transgender-Aktivistin ist und lange das Humboldt-Institut leitete, das einzige der Welt, das sich ausschließlich der Biodiversitäts-Forschung widmet. Zur originalen Tonspur des Interviews gibt es humorvoll bis hintersinnig animierte Bilder. Geradezu witzig geht es in „Mad Mieter“ zu, einem 3-D-Film über eine einsam in einer großbürgerlichen Wohnung hausende Gottesanbeterin - bis eine Artgenossin hinzukommt und es zu einem artüblichen Festmahl kommt. Stilistisch auf wesentlich vielfältigere und aufwendige Art animiert – zwischen Karikatur, Collage und Comic – ist „Der natürliche Tod der Maus“ von Katharina Huber, der vom krankheits- und todbringenden Pestizid-Einsatz auf Bananen-Plantagen zu luzidem Nachdenken über Leben und Tod führt, über Gefühle und Gespenstisches.
Die Goldenen Zitronen
Im NRW-Wettbewerb mit zehn Kandidaten ist wieder die Kölner Medien-Kunsthochschule stark vertreten; der MuVi-Preis um das beste Musikvideo kennt Kandidaten wie Heinz Strunks „Abgelaufen“, „Das war unsere BRD“ von den Goldenen Zitronen oder Oliver Huntemanns minimalistischen Elektro-Titel „Tranquilizer“, den der Künstler Hamid Kargar mit endlosen Gesichtswechseln illustriert hat.