Essen. Er ist nicht weg, er ist ein anderer: Moby hat sich vom populären Superstar zum Künstler entwickelt, der niemandem mehr gefallen muss.
Den Popstar hat Richard Melville Hall alias Moby an den Nagel gehängt: Heute interessiert sich der 54-jährige für Klangkunst und Polit-Aktivismus. Sein neues Album „All Visible Objects“ vereint beides – und mehr. In den späten 90ern/frühen 2000ern ist Moby ein Superstar. Er remixt die Creme de la Creme der Rock- und Popmusik, ist der direkte Nachbar von David Bowie in New York, verdient mit Alben wie „Play“ oder „Hotel“ mehr Geld als er je ausgeben könnte, startet sein eigenes Festival und propagiert Veganertum und sozio-politisches Gedankengut.
Doch die letzten Jahre ist es still um den blassen bebrillten Mann geworden. Moby tritt kaum noch auf, ist medial nicht mehr so omnipräsent und hat keine großen Hits mehr. Was durchaus gewollt ist: Der heute 54-Jährige hat sich 2010 für ein Leben fernab des Rampenlichts entschieden – und für den Rückzug in eine Art Luxus-Refugium in Los Angeles, inklusive Tiki-Bar, Pool und Heimstudio, das er kaum verlässt. Das sei die Erfüllung all seiner Träume sei: „Früher habe ich meine Platten in meiner Küche aufgenommen. Jetzt kann ich mich so richtig austoben.“ Das tut er mit einer Ausdauer, die ihresgleichen sucht: Zuletzt hat er sieben Alben in neun Jahren aufgenommen, die eher auf Ambient-Pfaden wandeln, teilweise rein instrumental sind und allenfalls hintere Chartpositionen belegen. Moby: „Ich kann es mir leisten, nur noch Stücke zu machen, die mir persönlich gefallen.“
Moby will längst kein Popstar mehr sein. Nun ist sein neues Album da: „All Visible Objects“
Sämtliche Einnahmen aus seiner Musik, seinem veganen Restaurant „Little Pine“ in Los Angeles und seinen Autobiografien „Porcelain“ und „Then It Fell Apart“ fließen an karitative Einrichtungen und Organisationen für Umweltschutz, Menschenrechte und Tierschutz. Ein Idealismus, den 20 Millionen verkaufter Tonträger sowie erfolgreiche Aktien- und Immobiliengeschäfte ermöglichen – und mit der er Vorbildfunktion übernehmen will: „Wie sähe die Welt aus, wenn alle Millionäre und Milliardäre aufhören würden, immer mehr Geld zu horten und es stattdessen zum Wohl dieses Planeten und seiner Bevölkerung einsetzen?“, so der Groß-Enkel von „Moby-Dick“-Autor Herman Melville. „Wir hätten wahrscheinlich keine Probleme mehr. Wir könnten alles, was uns belastet, gezielt bekämpfen. Doch die Menschen tendieren zur Gier. Und Reichtum und Macht machen sie sogar noch schlimmer. Das ist ein Charaktermerkmal, an dem wir als Spezies scheitern könnten.“
Mobys jüngste Schöpfungen reichen von „Ambient“ bis zu „Industrial“-Anleihen
Eine Erkenntnis, die offenbar für starke, weil inspirierte Tracks sorgt: Sein neues Album „All Visible Objects“ (Embassy Of Music) wartet mit elf Stücken in epischen 73 Minuten auf, die sich nicht nur in elegischen, schwelgerischen Ambient-Klanglandschaften bewegen, sondern auch mit Industrial-Anleihen in der Manier eines Trent Reznor und einer partialen Rückkehr zu den pulsierenden Dance-Tracks der frühen 90er überraschen. Insbesondere die Single „Power Is Taken“ ist eine offenkundige Hommage an das legendäre „Go“, seine allererste Single – und wartet mit Gastsänger D.H. Peligro von den Dead Kennedys sowie einer unmissverständlichen Kampfansage auf: „Die Macht wird nicht geteilt, sondern man hat sie uns weggenommen. Jetzt müssen wir gegen die Unterdrücker kämpfen.“ Ein ungenierter Ruf zu den Waffen und zum gewaltsamen Widerstand gegen die Regierung Trump, die – so Moby - die Verfassung mit Füssen trete. Starke Worte und Töne von einem, der sich dann doch nicht von allem verabschiedet.