Washington. Die Chancen des US-Präsidenten auf eine zweite Amtszeit schwinden. Krisenmanagement und Wirtschaftslage vergraulen viele Anhänger.

Von seinem ersten öffentlichen Auftritt nach sieben Wochen Corona-Stubenhockerei im Weißen Haus bleiben zwei Merkwürdigkeiten in Erinnerung, die symbolisch für die Bredouille stehen, in der sich Donald Trump gerade befindet. In einer Fabrik in Arizona, die Schutzmasken gegen das Virus herstellt, trug Amerikas Präsident am Dienstag demonstrativ nur sein handelsübliches Grinsen im Gesicht. Dazu dröhnte „Live and Let Die“ von der Rockband Guns n’ Roses aus den Lautsprechern.

Leben und sterben lassen? Angesichts von über 71.000 Toten, die in den USA dem Virus bisher zum Opfer gefallen sind, und über 1,2 Millionen Infizierten tuschelten selbst republikanische Weggefährten später hinter vorgehaltener Hand: „Geschmacklos!“.

Der präsidiale Verzicht auf Mundschutz, den laut Regierung bitte schön doch jeder Amerikaner benutzen soll, und die stillose Musikauswahl passen zur Lage. Sechs Monate vor der Wahl mehren sich die Alarmzeichen, dass Trump eine zweite Amtszeit verwehrt bleiben könnte. Hauptgrund: sein Krisenmanagement.

Trump- Corona-Krise schlimmer als 9/11 und Pearl Harbor

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    Desolates Krisenmanagement: Wähler kehren Trump den Rücken zu

    In rund 50 Umfragen seit Anfang Januar lag Trump nur ein einziges Mal vor seinem designierten Herausforderer Joe Biden. Der im Kellergeschoss seines Hauses in Delaware um mediale Aufmerksamkeit buhlende Demokrat liegt im Mittelwert seriöser Umfragen landesweit rund fünf Prozentpunkte vor Trump.

    Was die Strategen in der republikanischen Parteizentrale (RNC) noch mehr beunruhigt: In 17 wichtigen Staaten (Michigan, Pennsylvania, Wisconsin, Arizona, Florida etc.), die erfahrungsgemäß den Ausschlag geben, ist Trumps Rückhalt seit März um 15 Prozentpunkte gesunken. Bei weißen Wählern mit schwachem Bildungshintergrund, 2016 eine seiner wichtigsten Bastionen, hat Trump 20 Punkte eingebüßt. Ältere Wähler (65 und aufwärts), die vor vier Jahren zu seinen stärksten Unterstützern gehörten, landen bei minus 14 Prozent.

    Obwohl es bis zur Wahl im November politisch noch eine Ewigkeit hin ist und Umfragen eine kurze Haltbarkeitsdauer haben, ist der Präsident so dünnhäutig wie lange nicht. Seine Attacken gegen die „nichtsnutzigen“ Demokraten, die „korrupte, volksfeindliche“ Presse und den Corona-Sündenbock China nehmen ständig an Schärfe zu.

    Kommentar: Trump nimmt für seine Wiederwahl Tausende Tote in Kauf

    Forscher erwarten im schlimmsten Fall 200.000 Infizierte – pro Tag

    Wenn bis zum Herbst keine substanzielle Genesung der komplett abgestürzten Wirtschaft erkennbar ist, könnten auch latent konservative Wähler „ihre Entscheidung am Faktor Empathie ausrichten“, fürchten Trump-Berater. Die Frage laute dann: Wer hat mehr Verständnis, mehr Einfühlungsvermögen für die Notlagen von Familien, die Corona-Tote zu beklagen haben und ökonomisch vor dem Ruin stehen?

    Hier weisen die Umfragen für den mehrfach leidgeprüften Biden (er verlor 1972 seine erste Frau und seine Tochter bei einem Autounfall, 2015 starb sein Sohn Beau an einem Gehirntumor) zweistellige Prozentvorsprünge aus.

    Analysten in Washingtoner Denkfabriken, auch solchen, die den Republikanern nahestehen, sehen Trumps Chancen schwinden. „Gelingt dem Präsidenten in den kommenden Monaten keine wirtschaftliche Schubumkehr, gehen seine Chancen auf Wiederwahl gen null“, sagte ein Experte des Cato-Instituts unserer Redaktion.

    Nach Gesundung sieht es aber nicht aus. Das Virus schlägt inzwischen auch im ländlichen Amerika mit voller Wucht zu. Bis August wird im Weißen Haus mit einem Anstieg auf 140.000 Tote gerechnet. Andere Kalkulationen sind noch schlimmer. Wissenschaftler der Johns Hopkins University haben errechnet, dass die Infiziertenzahl schon bis Juni auf 200.000 steigen könnte – pro Tag wohlgemerkt. Auch sei bis dahin mit 3000 Toten zu rechnen – im 24-Stunden-Takt.

    Kilometerlange Staus vor Ausgabestellen für Lebensmittel

    Für Trump, der massiv die Aufhebung von Restriktionen in den Bundesstaaten propagiert, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, sind die Prognosen Gift. „Die Rückkehr zur Normalität kann nicht klappen, wenn die Menschen das Gefühl gewinnen, das Virus ist nicht unter Kontrolle gebracht“, sagen Analysten im US-Fernsehen.

    Gleichzeitig türmen sich inzwischen über 30 Millionen Arbeitslose in den Statistiken. Weil die Behörden personell und technisch überfordert sind, hängen Hunderttausende in der Warteschleife. Trumps Wirtschaftsberater Kevin Hassett geht davon aus, dass die Arbeitslosenquote bald die 20-Prozent-Hürde genommen haben wird.

    Vor den Ausgabestellen für Gratis-Lebensmittel gibt es inzwischen landesweit kilometerlange Staus. Konsequenz: Fast 65 Prozent der Amerikaner sehen ihr Land inzwischen auf dem falschen Kurs.

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