Bochum. Das Bochumer Museum unter Tage widmet dem vor einem halben Jahr verstorbenen Ausnahmekünstler Erich Reusch die neue Ausstellung „Grenzenlos“.
Erich Reusch, der Ende vergangenen Jahres im Alter von 94 Jahren starb, war ein unermüdlicher Erforscher des endlosen Raums. Dass er als solcher noch viel zu wenig gewürdigt ist, will das Bochumer Museum unter Tage im Schlosspark von Weitmar nun ändern: Mit einer Werkschau, die auf mehr als sechs Schaffensjahrzehnte zurückblickt und trotz extrem unterschiedlicher Anfangs- und Endpunkte aufzeigt, wie konsequent die Entwicklung dieses Künstlers verlief. Reusch, der mit fünf einfarbigen, übermannshohen Stahlzylindersäulen auch den Raum über dem Museum unter Tage gegliedert hat, war noch an der Konzeption der Ausstellung beteiligt, die nun als erste neue Ausstellung der Region nach der Corona-Pause unversehens zur ersten Retrospektive geriet.
Als gelernter Architekt, der in Berlin auch Bildhauerei studiert hatte, war ihm nach Plänen für kleinere Siedlungen in Düsseldorf oder Hannover und dem Generalplan für den neuen Bonner Stadtteil Meckenheim-Merl die Architektur zu eng geworden. Er entwarf ab Mitte der 50er-Jahre Wandreliefs und -objekte, die in den Raum hineinragten, mal mit zeiger-ähnlichen bunten Stäben in Mikado-Manier, mal mit weiß lackiertem Metall. „Und dann“, sagt Alexander von Berswordt, der mit Reusch lange Zeit in seiner Bochumer „Galerie m“ zusammengearbeitet hat und heute Motor des Museums unter Tage ist, „hat Reusch den Raum mit allen erdenklichen Mitteln bearbeitet.“
Stangenballett und pulsierende Fläche
Er entwarf Klang-Kunstwerke etwa für den Düsseldorfer Theatervorplatz, der durch Ultraschallbahnen und akustische Muster als Raum erfahrbar werden sollte; Reusch arbeitet beim Brunnen für die Bochumer Ruhr-Universität mit Temperaturempfindungen durch wassergekühlte Luftströme; oder er entwarf für einen Überschwemmungssee an der holländischen Küste mit 13 weißen Rohren auf Unterwasserbojen eine bewegliche Skulptur, eine Art Stangenballett, das die Dimensionen des Sees hinterm Deich erst so richtig hervortreten ließ. Oder er schuf im Sauerland, wo er nach Emeritierung als Lehrer an der Düsseldorfer Kunstakademie lebte und bis zum Schluss arbeitete, eine „Pulsierende Fläche“ aus Fallschirmseide mit einem Durchmesser von 25 Metern. Oder er wollte mit überlagerten Laserstrahlen 1967 den Dreck in der Luft sichtbar machen, als höchstens die Kaminkehrer Feinstaub kannten.
Die Ausstellung kann diese Vielfalt nur ahnen lassen, etwa in den Plexiglaskästen mit Rußpigmenten, die sich durch die elektrostatische Aufladung des Behältnisses zu immer neuen Formen und Flächen vereinen, und das nicht nur beim Transport der Werke, mit denen Reusch bekannt wurde. Auch mit seinen weitgehend abstrakten „Foto-Bildern“ erforschte Reusch wiederum den Raum, hier in der Simulation, dort mit Öffnungen in der Bildmitte, die auf irritierende Weise gewohnte Grenzen durchbrechen.
Intuition für Wirkungen
Und dann wird der Raumbildhauer Mitte der 90er-Jahre plötzlich zum Maler, wozu auch ein Schlaganfall beigetragen hat, der die Folgen einer Kriegsverletzung auf einem Minensuchboot neutralisierte: Reusch konnte wieder souverän den Pinsel führen und komponierte nun mit Hilfe einer Stichsäge Wandraum-Bilder aus Acrylglas, die noch einmal ganz neu die Grenzen des Gewohnten überschreiten und durch neue Grenzen neue Räume schaffen. Mit einer grandiosen Intuition für Proportionen und Wirkungen. „Er ist“, da kann man Alexander von Berswordt nur zustimmen, „einfach eine Pranke“!