Bochum. 164 Aufführungen, 800 Künstler: Intendantin Stefanie Carp verbandelt bei der Ruhrtriennale 2019 Kunst und Politik – mit düsteren Aussichten.

Fünf Tage vor dem Start der Ruhrtriennale 2019 präsentierte Intendantin Stefanie Carp das Programm das Festivals. Wie vor einem Jahr spielte sich die Pressekonferenz in der Bochumer Dampfgebläsehalle ab – allerdings war die Stimmung entschieden entspannter als noch vor Jahresfrist. Damals sah sich die Triennale-Chefin einem Sturm der Kritik wegen ihres Umgangs mit Antisemitismus-Vorwürfen gegen die Band „Young Fathers“ ausgesetzt; ein Menetekel, das über ihrer ersten Saison weiter hängenblieb, auch wenn man versuchte, mit einer Podiumsdiskussion zum Thema Boykottstrategien die Wogen zu glätten – dabei ging es allerdings wieder um Antisemitismus.

Davon ist jetzt keine Rede mehr. „Nun gilt’s der Kunst!“, möchte man mit Wagners „Meistersingern“ sagen, und Stefanie Carp war anzumerken, dass gerade ihr diese Losung sehr recht wäre. Die 63-Jährige verantwortet in ihrer zweiten Spielzeit ein üppiges Veranstaltungspaket. Bis zum 29. September sind in den Industriehallen des Ruhrgebiets 164 Aufführungen zu erleben, 800 Künstler aus 35 Ländern von Argentinien bis Vietnam werden aktiv. Rund 14,5 Millionen Euro pro Saison lassen sich das Land NRW und der Regionalverband das Festival der Künste kosten, dazu kommen potente Sponsoren, vor allem Revier-Unternehmen.

Stefanie Carp freut sich auf „interessante Begegnungen“ bei Ruhrtriennale 2019

„Ich freue mich auf neue ästhetische Erfahrungen, auf den Austausch mit dem Publikum und auf interessante Begegnungen“, betonte Stefanie Carp. „Interessante Begegnungen“ ist dabei eine sehr vorsichtige Umschreibung, denn es sind vielfach Produktionen zu erwarten, die das Gefällige und Vertraute aussparen und sich stattdessen noch einmal daranmachen, eingefahrene Hör- und Sehgewohnheiten aufzubrechen.

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So gleich beim Festival-Auftakt am Mittwoch, 21. August, wenn Christoph Marthalers „Nach den letzten Tagen. Ein Spätabend“ im Audimax der Ruhr-Universität Bochum geboten wird. Der futuristische 70er-Jahre-Hörsaal wird dabei zur Bühne als auch zum Zuschauerraum. Es erklingt Musik von Komponisten wie Viktor Ullmann, Pavel Haas und Erwin Schulhoff, die während des Nationalsozialismus ermordet oder in die Emigration gezwungen wurden und heute weitgehend vergessen sind, sieht man einmal von dem in Hollywood erfolgreichen Wolfgang Erich Korngold ab.

Das Ensemble, zu dem auch die Sängerin Tora Augestad gehört, verwebt politische Texte vom Anfang des 20. Jahrhunderts und die Musik der Verfemten zu einer dystopischen Vision, die ein Bewusstsein für die aktuelle politische Lage in Europa schaffen will.

Ruhrtriennale kommt mit der „Needcompany“ nach Gladbeck-Zweckel

Politisches mit Ästhetischem zu verbandeln ist denn auch die große Leitlinie in Carps Spielplan. Deutlich wird das etwa auch in Jan Lauwers Collage „All the good“, in der die „Needcompany“ ab 22. August in der Maschinenhalle Zweckel biografische Geschichten um Verlust und Hoffnung thematisiert. In einem Strom aus assoziativen Bildern, Musik, Tanz, Kostümen, Masken und Sprache werden Techniken des autobiografischen Erzählens ausprobiert.

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Ähnlich rauschhaft und sinn-frei, was eine „Botschaft“ angeht, setzt Ex-Triennale-Intendant Heiner Goebbels „Everything That Happened And Would Happen” ab 23. August in der Jahrhunderthalle in Szene. Tanz, Performance und Musik prägen den multimedialen, hoch artifiziellen Abend, der Patrik Ouředníks Text „Europeana“ mit unkommentierten TV-Nachrichtenfetzen zusammenbringt.

Ruhrtriennale 2019 in Duisburg und Bochum

Zu weiteren Topics zählen die Barock-Oper „Dido and Aeneas, Remembered“ (ab 28.8. im Landschaftspark Duisburg-Nord), die um eine Einlage des Jazz-Gitarristen Kalle Kalima ergänzt wird, und Kornél Mundruczós Interpretation von György Ligetis Musikstück „Requiem“, die er unter dem Titel „Evolution“ mit den Bochumer Symphonikern, dem lettischen Staatschor und dem Proton Theater ab 5. September in der Bochumer Jahrhunderthalle realisiert.