Essen. Kitschvermeidung oder Ideen-Sondermüll? So entromantisiert und komisch hat die berühmteste Lovestory der Welt selten angefangen: Cilli Drexel inszeniert „Romeo und Julia” im Essener Grillo, mit Julia als schnoddrig-schmachtendem, schnatterndem Teenager und brutalem Kräftemessen.

Ist das die Krise in Verona? Selbst die superreichen Capulets haben in Cilli Drexels Essener „Romeo und Julia”-Inszenierung nur noch einen Balkon mit Müllblick. Man kann das als konsequente Kitsch-Vermeidung sehen, tendiert in puncto Glaubwürdigkeit aber doch eher in Richtung Ideen-Sondermüll. So entromantisiert wie hier hat man Shakespeares weltberühmte Lovestory jedenfalls selten gesehen, erst nach der Pause kriegt die Inszenierung die Kurve zu den großen Gefühlen.

Schnoddrig-schmachtender, schnatternder Teenager

Zu verdanken ist das besonders Kristina-Maria Peters kokett-komischer Julia. Ein schnoddrig-schmachtender, schnatternder Teenager, der heute jede Handy-Flatrate sprengen würde. Kein Wunder, dass Papa Capulet (Werner Strenger), dieser neureiche Graf Protz, nebst hochhackiger Ivana-Trump-Gattin (Katja Heinrich), eine rasche Vermählung mit dem reichen Paris wünscht. Wer nicht spurt, bekommt seinen Zorn zu spüren, aber das große Prügeln bleibt den Jungen vorbehalten. Kampfkunst-Altmeister Klaus Figge hat mit dem hochbeweglichen Essener Ensemble eine Choreografie des brutalen Kräftemessens einstudiert, die einen in diesen Tagen schmerzlich an die S-Bahn-Schläger von München denken lässt.

Wie sich die Gewalt aus dem Nichts entwickelt und auch die Liebe – ungefiltert, auf spontane Befriedigung aus –, das ist ein Thema der Inszenierung. Heute sehen, morgen heiraten, so läuft das hier bei den Montagues und den Capulets, die Drexel beim Fight in zwei ethnische Lager einteilt, muslimisch und christlich

Heute sehen, morgen heiraten, so läuft das hier

Bruder Lorenzo, den Roland Riebeling als patenten Pfadfinder-Pfaffen gibt, macht den Wunsch schnell wahr. Die Hochzeitsszene wird mit flotter Stummfilm-Slapstick durchgespielt. Das trashige Kostümfest bei Capulets, das Romeo als Traum erscheint, bleibt bemüht bizarr. Und dass Drexel die Liebenden in ihrer ersten Nacht auf Müllbeuteln bettet (Bühne: Kristina Mrosek), wo man vermutlich die Ratten und nicht die Nachtigall hört, bleibt eine Idee ohne szenischen Zauber. Der erste Teil zerfällt bisweilen ins Episodische, doch nach der Pause, nach Tybalts Tod und Romeos Verbannung, findet der Abend Herz und Rhythmus.

Dimitrij Schaads Romeo bleibt zwischen poetischem Schwärmer und rüpelndem Heißsporn ein paar Nuancen schuldig. Fritz Fenne stemmt eine stattliche Amme ins Kostüm, ohne sie der Travestie zu überlassen. Und Strengers Capulet ist so edelprollig, dass man am Ende doch versteht, warum Julia den verhängnisvollen Schlaftrunk nimmt.

Aber die Liebes-List, das weiß man längst, funktioniert hier so wenig wie die Müllentsorgung. Das letzte Wort gehört diesmal den Liebenden. Großer Applaus.