Düsseldorf. Wie bringt man einen Genozid auf die Bühne? Ganz nüchtern, hat sich Regisseur Hans-Werner Kroesinger gedacht, die Fakten sprechen für sich. Recht hat er: „Ruanda Revisited“ ist ein großartiges Stück Dokumentartheater, das Herz und Hirn bewegt - beim Theaterfestival Impulse.
Zum wem gehöre ich? Existenziell ist diese Fragen eigentlich immer. Immer wieder in der Geschichte der Menschheit hat sie aber auch den Unterschied zwischen Leben und Tod gemacht. Zum Beispiel 1994 in Ruanda.
Am Anfang ist „Ruanda Revisited“ von Hans-Werner Kroesinger wie eine Lehrstunde. Im „Central“, der Spielstätte des Düsseldorfer Schauspielhauses am Hauptbahnhof, erklären Menschen im ordentlichen Tagesschau-Styling mit ausgerollter Landkarte, Diaschau und freundlichem Lächeln die Geschichte Ruandas. Umreißen die Kolonialzeit unter den Deutschen und den Belgiern, erklären, wer zu den Hutu, zu den Tutsi und zu den Twa gezählt wurde und warum. Und erläutern dann, dass durch Willkür eine eher auf gesellschaftlichen Klassen basierende Einteilung rassistisch umgedeutet wurde. Das ist interessant, aber auch viel trockener Stoff.
Die Schönheit und das Grauen
Doch dann gibt es was zu feiern: Als die Sprache auf das Friedensabkommen von Arusha kommt, knallt ein Sektkorken und die Beteiligten bitten das Publikum zu einer kleinen Feier. Käsehäppchen werden angekündigt, und wer den Schauspielern folgt, muss schlucken: In dem schmalen, hohen Raum, der durch schwarze Vorhänge entsteht, gibt’s tatsächlich Käsestullen. Und an den Wänden Friese aus Dias. Darauf ist die Schönheit Ruandas zu sehen – die Virunga-Berge, der üppige, saftig grüne Urwald, die Gorillababys mit ihren Kulleraugen – und das Grauen Ruandas: Gemetzelte Menschen, aufgehäuft wie Müll. Furchtbare Wunden bei denen, die überlebt haben. Terror in den Kulleraugen der Menschenkinder. Das ist das, was auf das Friedensabkommen folgte: Mörder aus der Hutu-Mehrheit des Landes töteten rund 800.000 Menschen der Tutsi-Minderheit und Hutu, die sich weigerten, sich am Morden zu beteiligen.
Radios hängen über den Bildern. Daraus hört man Verantwortliche, die vor und während der Katastrophe ihre Hilfe versagt haben – Kofi Annan etwa, und Madeleine Albright – und Menschen, die versucht haben, zu helfen, wie Rupert Neudeck, der Gründer des Nothilfekomitees Cap Anamur. Über allem hängt ein Summen, das Summen der Fliegen. Wie damals in Ruanda, als die Leichenberge so hoch waren, dass es lange dauerte, sie abzutragen.
Peitschende Schüsse, lakonische Texte
Das Publikum nimmt in einem Zelt Platz. Was draußen vor sich geht, kann man nicht sehen, aber hören. Laster mit Milizen rasen vorbei, Schüsse peitschen durch die Luft, Hubschrauber rattern – Surround-Sound lässt es so echt klingen, dass das Herz bis zum Hals schlägt.
Die Texte - Aussagen von General Roméo Dallaire etwa, dem Kommandant der UN-Blauhelm-Mission, oder vom damaligen US-Presidenten Clinton - werden weiter eher lakonisch vorgetragen; wer noch nicht so exzellent recherchiert hat wie Kroesinger, kann nicht immer folgen – findet aber immer wieder eine Einstieg in diese furchtbare Geschichte von einer Welt, die dabei zusah, wie ein Zehntel der Bevölkerung Ruandas abgeschlachtet wurde, weil das Land weder strategisch noch wegen seiner Ressourcen interessant genug war, einzugreifen.
"Genozid ist eine Käsestulle"
„Genozid ist eine Käsestulle“, hat ein amerikanischer Offizier einige Zeit nach dem Völkermord in Ruanda einem Journalisten gesagt. „Wen kümmert schon eine Käsestulle? Verbrechen gegen die Menschlichkeit? Wer ist denn schon Menschlichkeit? Sie? Ich? Sind Sie Opfer eines Verbrechens geworden? Waren doch nur eine Million Ruander...“
- „Ruanda Revisited“ von Hans-Werner Kroesinger ist während im Wettbewerb des Theaterfestivals Impulse noch zweimal in der Studiobühne der Uni Köln zu sehen: am Donnerstag und Freitag, 3. und 4. Dezember, jeweils um 20 Uhr. Das Programmheft bietet viel Hintergrund-Lesestoff.