Mannheim. Sie stammen aus Amerika, aus der Wirtschaft, aus der Technik: dauernd kommen neue Wörter zu uns. Professor Henning Lobin erforscht „Neologismen“.

Der Direktor des Institutes für Deutsche Sprache ist ein Beobachter, kein Wachhund. Nahezu wöchentlich erreichen neue Begriffe unsere Sprache. Aber wie wird das, was man Neologismen (neue Wörter) nennt, unser Deutsch? Lars von der Gönna sprach mit Professor Henning Lobin über dessen sehr lebendiges Forschungsgebiet.

Sie sind ein echter Influencer, da darf ich in kein Gender-Gap tappen, um von Ihnen nicht gleich in Flexi-Rente geschickt zu werden, vom entfreunden ganz zu schweigen? Spoilern Sie los!

Lobin (lacht). Schöner Einstieg: lauter von uns erfasste Neologismen.

Wenn Sie einem Laien Ihr Aufgabengebiet erklären sollten...

Eigentlich eine einfache Angelegenheit: Wir wollen wissen, welche Wörter in die deutsche Sprache neu hineingeraten. Um das beurteilen zu können beobachten wir, welche von ihnen nicht nur ein einziges Mal neu sind. Das geschieht in der deutschen Sprache ja vielfach. Uns geht es um die, die für Jahre Verwendung finden - von sehr unterschiedlichen Benutzern, also nicht nur Expertensprache.

Was muss ein Wort „können“, um von Ihnen anerkannt zu werden?

Es muss vorkommen! Wir arbeiten mit riesigen Sprachsammlungen – Korpora – und gucken uns an, ob man von einem Wort sagen kann: „Es ist zwar neu, aber es kommt regelmäßig vor.“ Dann verzeichnen wir einen Neologismus.

Der Sprach-Experte fragt auch: „Muss man das jetzt so sagen?“

Sie sind Germanist, gewiss auch aus Liebe zur Sprache. Stört die manchmal, weil nicht alles Neue schöner klingt?

Das ist sicherlich so. Wir registrieren eine ganze Menge Wörter, von denen man sich fragt: Muss man das jetzt so sagen?“ Aber es kommt halt vor, es wäre unprofessionell, das zu ignorieren.

Wo kommen die Neuen her?

Oft natürlich aus dem englischen Sprachbereich, wohl auch um daraus eine gewisse Aktualität und Internationalität zum Ausdruck bringen zu wollen. Das heißt nicht, dass ich das als Wissenschaftler schön finden würde oder nutze.

Also committen Sie sich nicht beim Meeting, sondern nutzen das gute alte Treffen zur Verpflichtung...?

So ist es.

Immer schon war die deutsche Sprache starken Einflüssen unterworfen

Sprachen haben sich früher auch durch Besatzung, Siegermächte geändert. Ist das abgelöst worden durch die Macht der Wirtschaft? Oder durch Mode?

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Unser Deutsch hat in den letzten Jahrhunderten starke, aber wechselnde Einflüsse erfahren. Auf Latein folgte ein großer Einfluss des Französischen. Heute ist Englisch klar vorn. Ursächlich sicher bedingt durch den Zweite Weltkrieg und die daraus folgende Vormachtstellung der Amerikaner. Aber das zeichnete sich schon vorher ab: Die kulturelle Internationalität, die das Englische verkörpert, empfand man sprachlich als Aufwertung.

Was bis heute dazu führt, dass wir in manchem englischer sind als die Herkunftsländer. Amerikaner kennen ja gar kein „Handy“...

Oder die „Walk-In-Dusche“, die wir als Wort neu in unsere Liste aufgenommen haben.

Sprachen haben ein bestimmtes „Image“. Das macht manch besonders attraktiv

Ist es vielleicht nicht auch wie beim Pop: Man hört nicht gleich, was einem an Quatsch serviert wird? Der Sound ist einfach schicker...

Genau. Es gibt sprachliche „Images“, ganz ähnlich wie beim Dialekt, wo etwa das Bayerische auch ein bestimmtes Image hat: eine angenehme Gemütlichkeit. Das heißt: Kulturelle und ästhetische Attraktivität beeinflusst Sprache. Wir sind uns dessen natürlich nicht bewusst. Wir glauben, wir finden etwas einfach „nur so“ schön; tatsächlich hat es stark damit zu tun, was wir über das Sprachliche hinaus damit verbinden.

Eingangs habe ich Sie „Influencer“ genannt. „Beeinflusser“ klänge wesentlich strenger...

Gutes Beispiel! Klar kann man deutsche Entsprechungen bilden, aber ein Wesenszug der „neuen“ Wörter ist oft, dass sie doch ein Mehr an Bedeutung haben als eine wortwörtliche Übersetzung.

Ist es sinnlos, sich gegen Neologismen zu stemmen?

Grundsätzlich wohl. Sie entstehen einfach. Das war immer so. Dadurch ist unsere Sprache zu den am besten ausgebauten der Welt geworden, reich an Fachausdrücken, sehr differenziert. Das wird so weitergehen, weil sich die Welt verändert und neue Sachverhalte und Dinge entstehen. Die brauchen einen Namen. Meist bilden ihn die, aus deren Welt er kommt.

Übernahmen aus anderen Sprachen, sagt Lobin, dürfen keine Masche werden

Übernehmen wir manchmal nicht doch zu leichtfertig?

Klar geschieht das. Im Vokabular der Wirtschafts- und Finanzbranche etwa. Aber deren Vertreter sprechen im Alltag tatsächlich sehr viel Englisch, manchmal ist das passende deutsche Wort vielleicht nicht einmal mehr präsent. Aber wenn es zu einer Masche wird, ist das wirklich abzulehnen.

Wie merkt man das?

Einfach prüfen, ob es auf Deutsch nicht wirklich ein gutes Wort dafür gibt. „Committen“ muss nicht sein. „Recyceln“ dagegen hat einen ganz besonderen Bedeutungshorizont: Umwelt, Müll, Wertstoffe... Dieses Wort kann man durch „Wiederverwendung“ einfach nicht komplett ersetzen.

Wenn wir „simsen“ hat das Wohl einfach der Volksmund geschaffen. Staunen Sie über die Genialität des Alltags oder macht Ihnen das Bauchschmerzen?

Mir gefällt die Kreativität. Simsen ist ein schönes Beispiel. Verben entstehen eher selten. Aber alle Welt verschickte plötzlich SMS und die Tätigkeit wurde zu einem neuen Wort.

Expertenrat zur Sprache: „Genau in Worte fassen, was man wirklich meint!“

Mancher spielt sich als Sprachhüter auf, nutzt aber selbstverständlich ein Wort wie „nichtsdestotrotz“, das absoluter Blödsinn ist: ein Studentenulk. Müssen wir vorsichtig sein, das Neue zum Feind des Bekannten zu erklären?

So verstehen wir unsere Rolle jedenfalls nicht. Es gibt sprachkritische Vereine, die sich das auf die Fahnen geschrieben haben und das sollen sie mit gutem Recht tun. Allerdings ist es sehr schwer, das sprachliche Verhalten der Menschen zu beeinflussen. In der ungeregelten Alltagssprache ist es fast unmöglich - im Sinne einer Aufsicht - gegen ein Phänomen anzugehen. In Frankreich versucht die Akademie Française Entsprechungen zu finden. So hat man dort aus Fake News „infox“ gemacht (von „information intoxication“). Die Frage ist, wie solche Vorstöße im Alltag umgesetzt werden, und da ist die Situation für das Französische nicht so völlig anders als im Deutschen.

Hat Ihr Forschungsgebiet sie emsiger oder vorsichtiger im Umgang mit neuen Wörtern gemacht?

Ich gehe ein bisschen vorsichtiger vor. Wenn mir ein neues Wort nur modisch scheint, suche ich nach einem treffenderen. Aber das muss nicht jeder so halten. Wozu ich aber stehe: Grundsätzlich soll man das, was man äußert, möglichst genau in Worte fassen – damit man auch wirklich sagt, was man meint.

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Eine Übersicht der jüngsten Neuzugänge von Neologismen finden Sie unter

https://www.owid.de/service/stichwortlisten/neo_neuste.