Essen. . 31 Jahre stand er an der Spitze seines Verlages. Nun geht „Klartext“-Chef Ludger Claaßen in einen Ruhestand, der aber keiner sein soll.

Als Ludger Claßen (63) in den 80er-Jahren Chef des Klartext-Verlags wurde, war einer seiner ersten Titel ein Band, den die Graue Pantherin Trude Unruh herausgegeben hat: „Trümmerfrauen – Biografien einer verlorenen Generation“. Eines dieser Bücher eben, die „Geschichte von unten schreiben“ sollten, wie es das Programm des Verlags war, kritisch zur herrschenden Meinung, emanzipatorisch, aufklärerisch.

Fast drei Jahrzehnte später machte Claßen mit dem Klartext-Verlag ein Buch, das noch kritischer, noch aufklärerischer war: „Mythos Trümmerfrauen“, eine an der Universität Duisburg-Essen entstandene Doktorarbeit, die deutlich mehr Furore machte als der Band von Trude Unruh.

Klartext-Verlag wird Erfindung des Ruhrgebiets nachgesagt

Als Ludger Claßen nun nach 31 Jahren an der Spitze des Verlags in den Unruhestand wechselte, rief er selbst mit seinem Lieblings-Gesichtsausdruck der lächelnden Ironie diesen Fall von historischer Dialektik in Erinnerung. Er steht in der Tat für Programmatik und Wirkweise des Klartext-Verlags.

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Ludger Claßen, der nicht an seiner Gründung 1983 beteiligt war, aber schon zwei Jahre später mit einer germanistischen Promotion im Rücken als Geschäftsführer und Mitgesellschafter einstieg, hat Klartext zu dem Regionalverlag des Ruhrgebiets gemacht, als der er heute gilt. Der bundesweit so viel Renommee genießt, dass Andreas Rossmann, Kulturkorrespondent der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, sich in einer Lobeshymne bei der Verabschiedung von Ludger Claßen zu der Zuspitzung hinreißen ließ, in München würden manche das Ruhrgebiet für „eine Erfindung des Klartext-Verlags“ halten.

Er habe das Revier „sichtbar gemacht in seiner Tiefe, seinem Wachsen und Werden, und in seiner Breite, seinem Reichtum und seiner gerade auch kulturellen, von überlieferten und anachronistischen Klischees oft vernebelten Vielfalt“, Klartext sei die Instanz, die das Ruhrgebiet wie keine andere „darstellt, untersucht, liest, studiert, erklärt, erzählt, kommuniziert und ins Gespräch bringt“, sagte Rossmann, zu dessen bevorzugten Gewährsleuten und Quellen Ludger Claßen zählte, wenn es darum ging, das Revier im republikweiten Feuilleton durchsichtig zu machen.

Helden der Oberliga West

Klartext wurde groß mit den Bürgerinitiativen und soziokulturellen Zentren der 80er-Jahre, Klartext wurde immer größer mit etwas anderen Fußballbüchern, die von den Heldentaten der Oberliga West und Zeiten erzählten, in denen das Ruhrgebiet Fußball und Freizeit quasipraktisch gleichsetzte. Die Zahl der produzierten Buchtitel wuchs Jahr um Jahr, auf bis zu über 150.

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Und Klartext, das war, mit einem winzig kleinen Team von einem halben Dutzend Überzeugungstätern, vor allem: Ludger Claßen. Ein hagerer Schlaks von einem Buch-Macher, ein Malocher, der nicht viel Worte zu machen pflegt, der schon Briefe und Mails im 140-Zeichen-Format schickte, als Twitter noch gar nicht erfunden war. Ein Verleger, wie es heute nicht mehr viele gibt – kein Managertyp, der sich nur für Absatzzahlen und Gewinnabschreibungen interessiert, sondern einer, dem es immer um die Inhalte der Bücher ging, die er produzierte. Und das auch nach 2007, als er Klartext ausgerechnet an jene WAZ-Gruppe verkaufen musste, der man ursprünglich eine „Gegenöffentlichkeit“ vorsetzen wollte.

Träger des Bundesverdienstkreuzes

Ludger Claßen, der 2010 das Bundesverdienstkreuz verliehen bekam, hielt all die Jahre Kurs mit Klartext – bis ihn im vergangenen Jahr eine Krankheit zwang, die Verlagsgeschäfte aufzugeben und sich auf das zu besinnen, was jenseits des Büchermachens wichtig sein könnte.

Claßen war endlich dazu gezwungen, sich um das eigene Wohl und Wehe zu kümmern. Dazu gehörte aber nicht nur, die Leitung des Verlags abzugeben, sondern auch, wie sich nach der Überwindung der ärgsten gesundheitlichen Probleme herausstellte, die weitere Erforschung der Ruhrgebietsgeschichte, auf Fußball- und anderen Feldern. Man wird, so ist zu hoffen, von Ludger Claßen noch lesen und hören.