Essen. . Das Publikum im Aalto-Theater feiert „Lohengrin“, die erste Wagner-Inszenierung unter der Intendanz von Hein Mulders.

Zweieinhalb Spielzeiten hat Hein Mulders das Aalto-Publikum zappeln lassen. Sonntag, endlich, gab es die erste Wagner-Premiere seiner Intendanz. Es war höchste Zeit: Die Atmosphäre im Publikum trug Züge eines Befreiungsschlages. Am Ende war der Jubel groß. Dieser „Lohengrin“ begeistert.

Das fügt sich zu einem, der in der Operngeschichte als Erlöser vom Dienst gilt. Es sehnt diesen Lohengrin herbei: ein Volk im Angesicht des Krieges, Dynastien im Streit um die Macht, haltlose Menschen, die ihr Heil da suchen, wo die größte Versprechung tönt. Die politische Grundierung aus Wagners Mittelalter-Fantasie ist auch in diesen Tagen kein Stoff von gestern.

Tatjana Gürbacas „Lohengrin“ ist extrem

Da wundert es wenig, wenn Tatjana Gürbaca am Ende den König bundespräsidial ans Rednerpult treten lässt, als die Welt, erneut, in Scherben liegt. Obschon Ritter Lohengrin ihm beim Abschied den „großen Sieg“ verheißt. Aber kann man dem noch glauben, der so rein eintrat in diesen von Kleinbürgerwachsamkeit und Karrieregier vergifteten Kosmos – und der so schrecklich flott integriert, ja so staatlich entzaubert ist, dass er zum Gottesgericht die Handfeuerwaffe aus dem Aktenkoffer wählt und hoher Militär des Königs ist, als er Elsa ins Brautgemach führt?

Die Inszenierung ist pausenlos intensiv, extrem (mitunter übertrieben, vor allem im Chor) in der gestischen Führung der Personen. Und sie zieht einen Coup des Finales nach vorn: Gegeben, dass im 21. Jahrhundert kein Bilderbuch-Schwan mehr den Kahn ziehen kann, der die Lichtgestalt an die Ufer der Schelde trägt. Hier aber führt Lohengrin den Stein allen Anstoßes von Beginn an mit sich: Es ist das Kind Gottfried, Elsas verschwundener Bruder. Ein unheimliches Wesen, stigmatisiert wie ein geschundener Erlöser, von Zauberkraft umflort: So wandert der Knabe über die Hände der berauschten Massen die Riesentreppe hinab.

Aalto-Bühne ist ideal für Wagner – bleibt aber ein schwarzes Loch

Diese Treppe ist Wohl und Wehe des Abends. Gewiss: Sie ist ein massives Bild für jene enge Welt, in der tief stürzt, wer nach oben will, auch zeigt sie, wie wenig Halt die Höhe bietet. Bestechend illustriert sie die Kleinheit, wenn das große Schurkenpaar Ortrud und Telramund am Fuße viel zu hoher Stufen brütet. Und sie führt zu anrührender Poesie, wenn Elsas Brautschleier – dem Nebel schönster Hoffnung gleich – körperlos zum Altar fließt.

Doch zementiert Marc Weeger mit ihr auch einen Pferch, der das Raumgreifende einer Choroper nahezu verhöhnt. Zwei Drittel des Abends krabbeln sie wie Ameisen in der Enge, während Großteile der Riesenbühne dieses für Wagner geradezu idealen Hauses ein schwarzes Loch bleiben. Ein großes Opfer.

Essens Philharmoniker und Sänger auf hohem Niveau

Musikalisch zeigt sich das Haus sehr auf der Höhe. Mit Generalmusikdirektor Netopil bleiben Essens Philharmoniker kaum eine Partiturfarbe schuldig, schöner noch als die theatralische Ekstase glücken die feinen Gespinste nachtschwarzer Poesie.

Um den Lohengrin-Debütanten Daniel Johansson bangt man anfangs, dann aber singt er eine begnadet schöne Gralserzählung, die um die große Kunst vokaler Melancholie weiß. Jessica Muirheads fragile Elsa zeigt in straff-glühenden Höhen auch die andere Seite der verzweifelten Braut.

Katrin Kappluschs Ortrud versetzt ihr Gift zauberkundig mit Sopransüße – ein rasanter Widerpart zu Heiko Trinsingers Telramund, der mit gewaltigem Wagner-Ton das Wüten der Welt mobilisiert. Der Chor hat überwältigende Momente.

Ein starker Abend, ein großer Applaus, ein glückliches Publikum. Wie das eben so ist, wenn ein Erlöser vorbeischaut. Dem Haus tut es sehr gut.